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Martin Kaymer: »Es ist mein Leben und meine Karriere«

Martin Kaymer

Ende August, Hochsommer in Deutschland. GM trifft Martin Kaymer (37) im Rahmen seines Charity-Events in Deutschlands Topresort Der Öschberghof zum Interview. Der junge Familienvater ist in Redelaune, er spricht über die Kritik nach seinem LIV Golf-Wechsel, warum die neue Tour perfekt für seine Life-Work-Balance ist und verteilt schlechte Noten für die DP World Tour.   

Herr Kaymer, wie steht es mit dem Schlaf? 

Absolut super. Seit sieben Monaten schlafen wir sehr gut. Als Sam fünf Wochen alt war, sind wir nach Amerika gegangen und seit seiner sechsten Woche schläft er in seinem eigenen Zimmer und Bett. Abends legen wir ihn gegen 19 Uhr hin und in den letzten drei Monaten ist er nicht vor 6 Uhr aufgewacht. Da haben wir Glück. 

Ist das nicht schön, wenn Sie jetzt von Ihrer Arbeit, also dem Golfplatz, nach Hause kommen und Sie werden von Frau und Baby empfangen, die Sie sofort auf andere Gedanken bringen? 

Das Schöne ist: Auf dem Golfplatz habe und hatte ich immer Spaß. Ich habe immer versucht, besser zu werden und die Leidenschaft für die Sportart aufrechtzuerhalten. Dazu musste ich mich nicht motivieren. Nun komme ich nach Hause und da ist so eine Natürlichkeit. Ich wechsle eine Windel und Sam guckt mich einfach an. Das ist so eine ganz andere Dimension. Unabhängig davon versuche ich das Private und Berufliche emotional zu separieren – das ist manchmal richtig schwer. Irène ist bei einigen Turnieren dabei und geht mit Sam dann ein paar Löcher mit. Ich habe festgestellt, dass ich in diesen Momenten nervöser bin. 

Will der Papa dann besonders gut spielen? 

Es ist rational nicht erklärbar. Ich bin nicht nervöser bei Turnieren, wenn er dabei ist, doch da ist etwas und ich spüre es. Das finde ich interessant und irgendwie auch lustig. Nervosität sehe ich grundsätzlich als etwas Positives an. Der kleine Mann ist sieben Monate alt und weiß ja gar nicht, was da auf dem Platz abläuft. Er hat nur seine Giraffe Sophie im Kopf und wann es das nächste Essen gibt. Am Ende ist das ein sehr schönes Gefühl. 

Martin Kaymer

Herr Kaymer, Sie haben gesagt, dass Sie Berufliches und Privates versuchen zu trennen. In den letzten Monaten mussten Sie viel Kritik wegen LIV einstecken. Gerade in solchen Fällen ist ein intaktes Familienleben sicher hilfreich. 

Ich habe es tatsächlich nicht so negativ aufgefasst, weil es doch stark von einem selbst abhängt. Lassen Sie mich folgenden Vergleich nehmen: Wenn Personen ein Thema ansprechen und aus eigener Erfahrung urteilen, kann man die Meinung ernst nehmen. Wenn Personen eine Meinung auf der Basis abgeben, wie es sein könnte, nur nachgelesen und nicht selbst durchlebt haben, dann kann man das gar nicht so ernst nehmen. Und genau so sehe ich das bei LIV Golf. Wenn man, wie ich, die Hintergründe von LIV Golf und den Touren (PGA, DP World, Anm. d. Red.) kennt, braucht man zahlreiche Medien gar nicht zu konsumieren. Denn die vermeintlichen Fakten stimmen einfach nicht. 

Manch wütende Nachricht oder Brandmail dürfte bis zu Ihnen durchgedrungen sein. Wie sind Sie damit umgegangen? 

Da muss ich gleich mal einen Aspekt hervorheben: Ich habe nie gesagt, dass LIV Golf richtig oder falsch sei. Jeder kann und darf seine Meinung äußern – das ist schön und gut. Aber wenn man über jemanden ablästert, muss man das ganze Paket sehen. Klar kamen negative Mails und Nachrichten bei uns an. Wir haben uns zusammengesetzt und diskutiert, wie wir mit unseren Möglichkeiten und medialen Kanälen damit umgehen sollten. Ich habe entschieden, Social Media ruhen zu lassen, auf neutral gestellt und konsumiere einfach gar nichts zu diesem Thema. 

Wann und wie reifte in Ihnen die Entscheidung, sich LIV Golf anzuschließen? 

Das kam alles recht spontan. Ich war in den letzten zwei bis drei Jahren schon nicht zufrieden, wie ich meine Sportart gelebt habe, wusste aber nicht warum. Man sucht ja tagtäglich – mal bewusst und mal unterbewusst. Und dann kam LIV Golf auf den Schirm. Ich habe mich erst mal darüber informiert und gemerkt, das ist genau die Motivation, die ich brauche. Die negativ Denkenden würden sagen: »Er ist respektlos den anderen Touren gegenüber, damals wollte er immer da hin und jetzt ist es nicht mehr gut genug« – so wurde es mir bereits ausgelegt, das stimmt aber nicht! Ich sehe es so: Ich hatte eine tolle Karriere als Einzelsportler und als Individuum. Jetzt kommt eine zweite Karriere, mit der Familie und als Team. Das Ganze mit einem Format und einer Tour, die nahezu perfekt für meinen Lebensstil ist. Ich weiß genau, wann und wo ich spiele. Ich habe Zeit für Training, Vorbereitung, Freizeit, Familie und andere Dinge. Und man verdient natürlich wesentlich mehr Geld als bei den anderen Touren. Die Work-Life-Balance ist super. Für mich alles planbarer und das habe ich mir als Profi immer gewünscht. 

Sie glauben an das Konzept von LIV Golf und sehen es als Chance, den Golfsport weiter voranzubringen. Können Sie das genauer erklären? 

Es betrifft ja alle, Profis wie Amateure. Alle sehnen sich nach einer Möglichkeit, wie alles komprimierter, schneller und mit mehr Entertainment abläuft. Nur weil etwas mehr auf Spaß ausgerichtet ist, bedeutet das im Gegenzug nicht, dass man es nicht ernsthaft ausübt. Die ersten Turniere haben mir sehr viel Spaß gemacht. Ich begrüße das Team-Format, genau das hat mir persönlich im Golf einfach gefehlt. Wir stehen am Anfang und ab 2023 wird auch jeder Spieler sein Team haben. Ich mag das Format mit dem Kanonenstart – wir spielen bei den gleichen Bedingungen, es ist dadurch fairer geworden und die Runden sind schneller. Das war bei vielen Turnieren auf den klassischen Touren oft ein Nachteil. 

Sie haben zahlreiche Versuche, u.a. Ortswechsel in Amerika, gestartet, um auf der PGA Tour Fuß zu fassen. Es sollte nicht sein…  

Ich hatte meine Tourkarte von 2009 an, habe sie aber nie vollständig genutzt. Ich habe es mir immer versucht einzureden, dass ich auf der PGA Tour spielen möchte und mir eingetrichtert, dass sei mein Leben. Nein. Ich bin nicht der Mensch dazu, der Typ, der zwölf Monate im Jahr in Amerika leben möchte. All meine Bemühungen in den USA waren nicht erfolgreich – weder sportlich noch persönlich. In letzter Konsequenz habe ich mich entschieden, einen anderen Weg einzuschlagen.

Manche Profis würden alles dafür geben, nur um einmal in ihrer Karriere für zwei bis drei Jahre auf der PGA Tour zu spielen. Nur ist mir das egal: Es ist mein Leben und meine Karriere. Um auf der PGA Tour erfolgreich zu sein, muss man in Amerika leben und das war für mich einfach keine Option. Man kann nicht so arrogant sein, einen Turnierkalender für die USA mit 15 bis 20 Turnieren im Jahr aufstellen, zu denen man am Montag hin und am Sonntag zurück nach Deutschland fliegt und nebenbei mal ein paar Bälle auf der Range haut. Das funktioniert nicht und ich möchte das einfach auch nicht wegen der Familie. 

Wäre die europäische Tour nicht eine Option gewesen, Herr Kaymer? 

Und jetzt kommen wir zur DP World Tour: Wie die sich in den letzten zwei Jahren entwickelt hat und wo es hingehen wird, sorry, da sehe ich mich auch nicht. Ich war immer ein Fan der europäischen Tour, aber es ist so viel verloren gegangen. Für was steht sie denn noch? Können Sie es mir sagen? Ergo: Ich habe mich für LIV Golf entschieden. Es ist die neue Motivation, die ich brauchte und mir ist bewusst, viele Menschen können das nicht nachvollziehen. In den kommenden Monaten wird viel kommen und viele Fragen beantwortet werden. Dann wird es sehr interessant, wie die Touren zusammenarbeiten werden: Wer bleibt, wer kommt, etc.? Man muss das große Ganze sehen. 

Hat das Image des Golfsports durch das Kräftemessen der Touren, die verbale Keilerei, verloren? 

Geholfen hat es sicher nicht. In den kommenden zwei bis drei Jahren wird man sich finden. Die Frage ist: Wieviel verbrannte Erde kommt noch hinzu? Weltranglistenpunkte wären sicherlich schön und wichtig für viele Spieler. Für mich gar nicht mal so sehr. Die British Open ist eine Open und das eine Turnier, das ich noch gerne gewinnen möchte. Ich kann ja einfach eine Qualifikation spielen. Das wird sich alles ergeben, wie LIV Golf integriert wird. Bei den Majors sind die Voraussetzungen etwas anders, das sind individuelle Veranstaltungen. Und wenn nicht: Ich habe eine super Karriere. Ich bin total zufrieden, ich habe einen hervorragenden Lebensstil und kann immer noch die Sportart ausführen, die ich liebe. 

Kaymer

2023 läuft es auf 14 Events hinaus. 

Ja, wir haben den Plan 2023 bekommen. 14 Turniere weltweit, unter anderem in Australien. Und Deutschland hat sich auch schon beworben mit zwei bis drei Plätzen. Ich freu mich auf die Zukunft: Ich kann Turniere gewinnen und wie das von der Außenwelt gesehen wird, ist erstmal nebensächlich. Für mich geht es darum, Turniere zu spielen und zu gewinnen. Die LIV-Konkurrenz ist allemal so gut wie bei anderen Touren. Man muss oder sollte sich auch nicht auf eine Seite stellen und sagen: Das sind die Guten und das die Bösen. Darum geht es doch gar nicht. Jeder muss für sich die Entscheidung treffen. Ein Großteil hat es sicherlich aus finanziellen Gründen gemacht, natürlich ist das Geld anziehend. Wenn das der einzige Grund ist, hast du dir aber von vornherein die falsche Sportart ausgesucht – dann spielt man Golf nicht aus Leidenschaft.  

Wie schwer fällt es Ihnen als dreimaliger Ryder-Cup-Sieger, Vizekapitän und potenzieller Kandidat für das Kapitänsamt, bei diesem Wettbewerb vorerst ausgeschlossen zu sein? 

Natürlich ist es schade, wie sich die Thematik derzeit gestaltet. Keiner weiß zum jetzigen Zeitpunkt, wohin die Reise gehen wird. Ich habe eine große Leidenschaft für den Ryder Cup und ich habe dort mit die besten Erfahrungen meiner Karriere gesammelt. Sollte es keine Einigung geben, wäre es bedenklich. Wir sind gerade am Anfang eines riesigen Umschwungs im Profigolf. Ich bin zuversichtlich, dass in nächster Zeit ein positives Feedback kommen wird. 

Können Sie die Absetzung von Henrik Stenson als Kapitän 2023 nachvollziehen? 

Ich kann den Rauswurf auf der einen Seite verstehen, weil sich die European Tour noch nicht wirklich gefunden hat – sie steckt in einem Wandel. Auf der anderen Seite kann ich es gar nicht nachvollziehen. Henrik wäre ein super Kapitän gewesen. Er spielt modernes Golf und kennt alle potentiellen Spieler. Ein angenehmer Mensch und witziger Typ, der viel Erfahrung mitgebracht hätte. Es ist traurig für ihn, dass er das Amt nicht weiterführen darf.