Die Stimme ist genauso rau und knorrig wie der ganze Typ, der Akzent ganz dicht am Gälischen: „Hit it harrrrrrrd“, brummt mir Malcolm durch den immer stärker werdenden Wind entgegen. Malcolm Craig, mein Caddy, und ich stehen gerade auf dem 9. Abschlag des Old Course in St. Andrews. Gerade mal rund 270 Meter sind es für mich von den gelben Tees bis zum Grün, es geht ohne erkennbare Hindernisse einfach geradeaus. Allerdings, und deshalb zögere ich noch: Direkt rechts nebenan kommt die 10. Bahn entgegen, mit einem weit auseinander gerissenen Vierer-Flight auf ungefähr halber Höhe. Jetzt einen satten Slice, und die Jungs sind in Gefahr und ich wäre in Erklärungsnot.
„Du kannst“, grummelt Malcolm, „die spielen auf der 10.“ Das klingt, als läge besagte 10 auf einem anderen Planeten, und dient damit als ultimative Startfreigabe. Habe ich Malcolm an diesem verblüffend milden Frühlingstag nicht schon davon überzeugt, dass ich den kapitalen Slice beherrsche? Doch, habe ich! „Wir sind hier auf dem Old Course“, schiebt der sturmerprobte Schotte stoisch hinterher, „da kommt einem immer irgendeiner entgegen.“ Na dann
Ich haue also drrrrrrrrauf. Ein Sicherheitsschubser nach links ist hier auch keine Lösung, weil dort auf ganzer Länge Aus ist. Also, ruhig bleiben, durchziehen, hoffen. Die Kugel startet wie ein Pfeil über ein paar garstige Ginsterbüsche, setzt nach rund 200 Metern zur Landung an und rollt sich auf dem trockenen Fairway noch in Rage. Aufgrund der vielen kleinen Bodenwellen hüpft der Ball dabei wie ein Wassertropfen auf einer heißen Herdplatte, bevor er links vom „Boases Bunker“ zum Liegen kommt. Ordentlicher Schlag, perfekte Lage. Lob vom Caddy? Warum das denn? Wir sind hier zum Spielen, nicht zum Tratschen.
Dabei könnte Mr. Craig einiges erzählen. Seit fast zwei Jahrzehnten trägt der Mittdreißiger die Taschen auf dem Old Course, hat schon für Weltstars wie Lee Westwood oder Greg Norman gearbeitet. Auch das treibt seinen Puls nicht hoch: „Hier haben schon alle großen Golfer der Welt gespielt. Es kommt immer mal wieder einer zu ner Proberunde, der dann einen Caddy braucht.“
Und vielleicht ein paar Tipps, so wie ich jetzt. Es sind noch rund 40 Meter zum nahezu kreisrunden Grün, dessen Wellen schon aus dieser Entfernung deutlich grüßen. Malcolm reicht mir den Putter, was sonst: „Wer den Old Course kennt und liebt, nimmt den Putter, oderrrrrrr?“ Na klar, hat Tiger Woods bei seinem Sieg im Jahr 2005 schließlich auch gemacht, als er sich aus allen möglichen und unmöglichen Lagen zum Majorsieg puttete. Dass er während der vier Runden nicht einmal in einem der hinterhältig-schönen Bunker landete, spricht ebenfalls für die geniale Platzstrategie des Amerikaners.
Neu- und golfdeutsch spricht man da vom „Course Management“. Passt schon, denn ich bin ohnehin als Freund des schottischen Spiels bekannt. Bedeutet: Die Kugel immer schön flach halten und an allen Hindernissen vorbei sanft auf die Grüns hoppeln lassen. „Bump & run“ (so viel wie „hüpfen und laufen“) heißt diese Technik, die sich über Jahrhunderte als die beste herausgestellt hat für Buckelpisten wie den Old Course, die oft auch noch vom Seewind gepeitscht werden. Mir kommt da noch was ganz anderes in den Sinn: Wer flach spielt, ruiniert vielleicht mal den Knöchel eines anderen Golfers, aber nicht dessen Kopf. Das beruhigt ungemein.
Mit dem Putter kann man nicht viel falsch, aber ganz viel richtig machen. Mein Putt startet mit Dampf, rauscht wie in der Achterbahn über verschiedene Buckel, taucht auf, taucht ab, schnurrt aufs Grün und schleppt sich mit letzter Kraft bis auf zwei Meter an die Fahne. „Luuvvelly“ findet Malcolm das was für eine Auszeichnung. Weil ich den Putter gerade in der Hand habe, mache ich gleich weiter. Der Birdie-Putt braust stolz am Loch vorbei, liegt fast so weit weg wie vorher. Der nächste (f)lippt aus! Was für die Scorekarte bleibt: vier Putts, Bogey auch das gibt es nur auf echten Links-Kursen.
Dabei gilt gerade der Old Course als Mutter (und von mir aus auch noch Vater) aller großartigen Links- und Küstenkurse. Seit mehr als 600 Jahren wird auf dem schmalen Streifen Land zwischen St. Andrews Bay und Eden Sanctuary gespielt. Was auf den ersten Blick wirkt wie eine ordinäre Schafswiese (was sie mal war), entpuppt sich bei näherer Betrachtung und eingehender Bespielung als das gelobte Land aller Golfer. Der Old Course mit seinem in Granit gesetzten Clubhaus ist so reich an Geheimnissen, Geschichte und Geschichten, dass sich selbst die Einheimischen immer wieder wundern. Namen wie „Hell Bunker“, „Elysian Fields“ oder „Miss Graingers Bosoms“ führen als gedankliche Brücken so zurück ins Mittelalter wie die so reale „Swilcan Bridge“ aufs 18. Fairway.
Der Old Course ist ein Puzzle, mit dem man nie fertig wird. Früher haben sie die Runde im Uhrzeigersinn gespielt; seit dem 19. Jahrhundert spielt man gegen die Uhr. Deshalb liegen einige Bunker heute an Stellen, wo sie scheinbar keinen Sinn mehr machen; was allerdings Sinn macht im Golf, definiert der Old Course! Einmal im Jahr, im April, drehen sie den Platz wieder um und spielen die alte Richtung: Vom ersten Abschlag schräg links über Doppelfairway und „Swilcan Burn“ rüber aufs 17. Grün, vom 18. Tee aufs 16. Grün und so weiter.
Käme ein Architekt heute auf die Idee, einen solchen Platz zu bauen, wäre sein nächstes Projekt wahrscheinlich eine Tiefgarage. Von einigen Abschlägen sieht man weder Fairway noch Grün; Ziel ist in dem Fall ein weißer Metallpfosten, über den man spielen sollte. Auf der 17, dem „Road Hole“, steht gar ein großer, grüner Holzschuppen im Weg, der zum Old Course Hotel gehört. Hier gilt: mit dem Driver volle Pulle drüber und hoffen, dass der Ball irgendwo auf dem Fairway landet. Allerdings: Bälle zu finden, die man nicht hat landen sehen, ist auch kein Vergnügen. Noch ein Grund, sich einen Caddy zu gönnen die Jungs würden die Kugeln auch im Dunkeln finden. Es sei denn, sie sind in den unzähligen Ginsterbüschen verendet, die zwar im Mai leuchtend gelb blühen und intensiv nach Kokosnuss-Öl duften, aber Dornen wie Spitzhacken haben.
Und dann die sieben Doppelgrüns! So groß wie Handballfelder, mindestens. Das gemeinsame der Bahnen 5 und 13 ist fast 100 Meter breit und dabei so onduliert und unberechenbar wie eine völlig missratene Dauerwelle. Mark Calcavecchia, der 1989 die British Open in Troon gewann, hat schon mal von einer Seite des Grüns auf die andere gepitcht und dabei ein Schnitzel rausgehauen,weil ihm das sicherer erschien. Damals waren sie in St. Andrews kurz davor, dem Amerikaner die Menschenrechte abzuerkennen.
Hier geht, was sonst nirgends geht. Der Royal & Ancient Golf Club of St. Andrews wacht über die Regeln des Spiels, seine Geschichte und Zukunft. Der Old Course schreibt die Gesetze der Golfplatz-Architektur; er ist es allerdings auch, der sie wieder bricht. Für Spieler wie Jack Nicklaus und Tiger Woods ist er der erste, beste und letzte Golfplatz auf Erden! Für mich übrigens auch!
Dafür nehmen Nicklaus, Woods und Hennies Einschränkungen in Kauf wie bei keinem anderen Turnier. Jack Nicklaus, der seit Jahren kein derart großes und öffentliches Golf mehr spielt, ist für die „Champions Challenge“ am Mittwoch eingeplant. Da soll der inzwischen 70-jährige „Golden Bear“ mit 27 weiteren Open-Siegern auf eine Vier-Löcher-Runde gehen.
Auch Tiger Woods hat zugesagt, weil er sich bei der Open im Allgemeinen und auf dem Old Course im Besonderen extrem wohl fühlt. Die letzten beiden Ausgaben dort hat er gewonnen. Im Jahr 2000 hatte er acht Schläge Vorsprung, fünf Jahre später waren es immer noch fünf. Die Einschränkung für Tiger? Bei der Open tauchen ab und an Flitzer(innen) auf, die sich urplötzlich aus der Menge und ihren Trenchcoats schälen, um die große grüne Bühne zum unbelasteten Auftritt zu nutzen und da gibt es, erst recht nach dessen Eskapaden, kein wirksameres Ziel als Tiger Woods.
Meine Einschränkungen? Ich muss in die Uni! Weil Semesterferien sind und auch die hochangesehene University of St. Andrews jedes Pfund braucht, werden die Studizimmer an die Presse vermietet. Vorteil: gute Lage direkt in der Stadt, zu Fuß zum Old Course, an den Strand und kein Theater mit irgendwelchen Staus. Nachteil: Die Zimmer haben keine zehn Quadratmeter und nur ein Handwaschbecken. Geduscht wird mit Kollegen aus aller Welt, die man später zum viel zu deftigen „Scottish Breakfast“ in der Mensa wiedertrifft. Ich habe schon 2005 in der Uni gewohnt und werde es immer wieder tun.
Immer wieder ist die Open in St. Andrews ein knallharter Test für die besten Spieler der Welt. 6.712 Meter lang ist der Old Course diesmal das ist fast einen Kilometer länger als 1873 bei seiner ersten Open. Damals flog der Gutta-Percha-Ball auch nach einem richtig guten Drive nur rund 150 Meter; inzwischen schaffen die Pros das Doppelte. Heute liegen die Abschläge der Bahnen 13 und 14 auf dem benachbarten Eden Course; das 17. Tee wurde erstmals jenseits der normalen Ausgrenzen auf eine Driving Range verlegt. Damit streckt sich das ohnehin schon brutal schwere Road Hole auf stolze 452 Meter, lässt in den meisten Fällen noch ein langes Eisen ins kleine Grün. So soll es sein, wir sind ja nicht beim Monatsbecher.
Wenn es vom Meer nicht zu sehr bläst, macht der Old Course scheinbar nur wenig Zicken. Fairways und Grüns zu treffen, ist dann relativ leicht. Wer aber bringt 18 gute Löcher zusammen, und das vier Tage lang? Wer findet die perfekten Passagen zwischen all den Buckeln und Senken? Wer zerbricht an den Breaks auf den Grüns, die je nach Lichteinfall dramatisch anders aussehen? Wer findet die beste Balance zwischen Technik und Gefühl, Kraft und Geschick, Angriff und Verteidigung? Wer ist dem Old Course emotional gewachsen, der nicht nur schlechte Schläge bestraft, sondern manchmal auch gute, die nach 250 Meter Flug einfach nur einen unglücklichen Bounce bekommen?
Wer den Old Course übersteht, ist in jedem Fall ein besserer Golfer als vorher. Manche behaupten sogar, man sei danach ein besserer Mensch
British Open: Das gelobte Land
Von Detlef Hennies