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Wie ein ungemachtes Bett

Golf Digest
Von John Barton und Kolja Hause

Mit Veränderungen tut man sich im altehrwürdigen Royal St. Georges Golfclub traditionell schwer. Ein Blick auf das einfache Clubhaus genügt. Typisch englisches Understatement aus Stein und Holz in einer Golfwelt, die oft genug völlig übertrieben wirkt. Ein Gang durch das über 100 Jahre alte Gemäuer kommt einem Museumsbesuch gleich. Gezeigt wird, wie ein Golf Club aussah, als noch in Tweed und mit Hickory-Hölzern gespielt wurde; eine Einrichtung wie in Sepia-Optik. Die Zeit scheint hier im äußersten Südosten Englands still zu stehen. Über dem Kamin prangt eine große Tafel mit den Namen aller Captains des Men-only-Clubs: darunter Generäle, Earls, Lords, Ritter und sogar der Prince of Wales. 1928 war der hier Mitglied, bevor er König Edward VIII. wurde.
Auch der Golfplatz ist zeitlos, unverändert gut. Royal St. Georges gehört zu den besten Links-Plätzen, die Großbritannien und Irland zu bieten haben. Die 18 Löcher liegen genau in der Mitte zweier längst vergessener Open-Austragungsplätze, Princes und Royal Cinque Ports, direkt an einem Küstenstreifen am Ärmelkanal kilometerlanges feinstes Links-Land. Ein Leckerbissen für Freunde von puristischem Golf.
1887 hat ein gewisser Dr. William Laidlaw Purves den Platz entworfen, und an dem Verlauf der Bahnen hat sich seit dem wenig verändert. Wenn man auf diesem Platz spielt, hat man das Gefühl, er sei noch älter.
Nur beim genaueren Betrachten hat sich auf dem viktorianischen Links-Platz doch etwas verändert. Hinter und links neben dem 6. Grün z. B. befindet sich heute eine gewaltige Düne. Ursprünglich hieß die Jungfrau, benannt nach dem dritthöchsten Berg in den Berner Alpen der Schweiz. Die Jungfrau war anfangs steil, sandig und Angst einflößend, wie der ehemalige Präsident Bernard Darwin befand. Sie stand mitten im Fairway. Vom Abschlag brauchte es schon einen guten blinden Abschlag von gut 170 Metern gegen den häufigen Westwind, um drüber hinweg zu kommen. Heute wurde das Sandmonster neben die Bahn verbannt und ist der beste Aussichtspunkt für die Open-Zuschauer.
Wie an Loch 6 hat man im Laufe der Jahrzehnte an vielen Punkten des Platzes die blinden Schläge entschärft, um einen zeitgemäßen Test für die Profis zu ermöglichen. Quer über die Spielbahnen verlaufende Bunker wurden entfernt. Viele schrullige Eigenheiten mussten einem Layout weichen, das nach 32 Jahren Pause die British Open 1981 wieder nach Sandwich brachte.
Der erste Amerikaner, der die British Open gewann, war Walter Hagen. Zwei seiner vier Open-Titel gewann er in Royal St. Georges. 1928 sagte er über den Platz: Die ersten Neun riesiger Spaß, kein guter Golfplatz. Die zweiten Neun tolles Golf, überhaupt kein Spaß. Heute ist es ein ausgezeichneter Golfplatz, der von Anfang bis Ende Spaß macht. Jedes Golfloch für sich ist etwas Besonderes. Schwer bleibt St. Georges trotz der Entschärfungen weiterhin. Über die 15 heißt es im Course Guide: Der Schlag ins Grün ist praktisch nicht möglich. Und aus dem berühmten vierten Loch, einem Par 5 mit einem zwölf Meter hohen Bunker, hat man kurzerhand für die Open ein 453 Meter langes Par 4 gemacht.
Nur 96 Meter länger ist der Par 70-Platz als bei seiner letzten Open 2003, obwohl das Gelände rundherum eine viel größere Ausdehnung locker zulassen würde. Die Drivelänge der Tourspieler hat sich aber in den letzten acht Jahren nicht signifikant gesteigert, sagt R&A-Boss Peter Dawson. In England will man den US-Trend zu immer längeren Austragungsplätzen einfach nicht mehr mitmachen.
Trotz der Entschärfungen hat Royal St. Georges über die Jahre seinen Ruf als unberechenbarer und unfairer Golfplatz nicht verloren. Es gibt immer noch ein, zwei blinde Schläge auf der Runde, und die Fairways haben die Topografie eines ungemachten Betts. Jede Welle, Beule und Delle scheint die Bälle praktisch unkontrollierbar weit vom richtigen Weg abzubringen. Wenn dann auch noch brutale Hitze und Dürre die Golfbahnen austrocknet, werden aus Grasteppichen schnell Buckelpisten. Bei der British Open 2003 schafften es weniger als 30 Prozent der Spieler, den Ball auf den Fairways der 1, 17 und 18 zum Liegen zu bringen. Diese Spielbahnen wurden für 2011 extra verbreitert.
Die Grüns acht befinden sich noch im Ur-Zustand sind monströs. Aufgeblähte Gemeinheiten mit weiten Senken, schmalen Höhenzügen und unberechenbar abfallenden Seiten. John Barton, ein Kollege von Golf Digest aus den USA, berichtete von seiner Proberunde im April: 93 Schläge, 47 Putts.
Es half dem Ruf auch nicht, dass 2003 mit dem Amerikaner Ben Curtis ein Spieler die British Open in Royal St. Georges gewann, der zu dem Zeitpunkt auf Rang 396 der Weltrangliste geführt wurde, noch nie bei einem Major-Turnier gespielt hatte, geschweige denn schon einmal in England gewesen wäre.
Auch Links-Golf war für den damaligen US PGA Tour-Neuling ein Fremdwort, und dennoch spielte er seine vier Runden besser als alle damaligen Topstars der Branche zusammen.
Die Geschichte von der Open in Sandwich ist aber auch genauso voll mit bizarren Ausrutschern seiner Teilnehmer. Tiger Woods verlor 2003 am ersten Abschlag des Turniers seinen Ball. Er spielte Triple-Bogey. Jerry Kelly startete am selben Tag mit einer 11 am Par 4.
1949 rollte der Ball von Harry Bradshaw auf den abgebrochenen Hals einer kaputten Glasflasche. Er spielte ihn wie er lag Doppel-Bogey. Das spätere Play-off verlor Bradshaw gegen Bobby Locke. Bernhard Langer benutzte am Abschlag der 15 (Par 5) bei der Open 1993 an den ersten drei Tagen zur Sicherheit ein Eisen. Am Finaltag slicte er seinen Drive über einen Zaun auf den Nachbarplatz ins Aus, spielte so ein Triple-Bogey und überließ den Turniersieg Greg Norman.
Die tragischste Figur von Sandwich ist allerdings der Däne Thomas Björn. Der sah 2003 schon wie der sicherer Sieger aus; und das, obwohl er gleich in der ersten Runde an Loch 17 (Par 4) ein Quadruple-Bogey (8 Schläge) spielte.
An der 16 in der Finalrunde führte Björn mit drei Schlägen. Dann das Desaster: Er benötigte drei Versuche, um aus dem Grünbunker zu kommen. Der Ball war zwei Mal bereits auf dem Grün, rollte aber immer wieder zurück in den weichen Sand.
St. Georges ist bekannt für seine krassen Ausreißer, was die Schlagzahl angeht in beide Richtungen: hoch und tief. Die erste Rekordrunde unter 70 Schläge spielte J. H. Taylor 1904 mit einer 68. Erst 1934 verbesserte Henry Cotton diesen Bestscore. Er spielte die ersten beiden Runden mit 67 und 65 Schlägen. Danach wurde der berühmte Dunlop 65-Ball auf den Markt gebracht. Dieser Rekord hatte 58 Jahre bis 1993 bestand, bis Ernie Els den Platz zum ersten Mal in seiner Geschichte mit vier Runden in den 60ern überstand. 20 Minuten später toppte der spätere Sieger Greg Norman diesen Rekord erneut. Sein Gewinnerresultat von 267 Schlägen ist bis heute maßgebend.
Bobby Jones spielte in Sandwich sogar einmal eine 86. Jack Nicklaus eröffnete das Turnier 1981 mit einer 83, Paul Casey 2003 mit einer 85. Royal St. Georges ist unberechenbar, speziell dann, wenn auch noch der orkanartige Seewind dazukommt.
Der vielleicht windigste Tag in der Geschichte des Turniers war die Finalrunde 1938. Ein Zuschauerzelt wurde vom Wind zerfetzt und in die See geweht. Henry Cotton spielte an der 2 ein Eagle, nachdem er das 338 Meter lange Par 4 gedrivt hatte. Und selbst mit zwei Vier-Putts konnte Reg Whitcombe seinen späteren Sieg nicht verspielen. Jack Nicklaus sagt, dass die Open-Austragungsplätze immer schwerer werden, je weiter man in Großbritannien nach Süden fährt. Und Royal St. Georges ist so weit südlich, dass man an sonnigen Tagen sogar Frankreichs weiße Felsen bewundern kann.
Der Australier Steve Elkington wurde einmal nach seiner Meinung gefragt, an welcher Stelle der neun Open-Plätze für ihn St. George rangiert. Auf Rang 10, so seine ernst gemeinte Antwort. Und Ian Poulter antwortete auf Twitter dieses Jahr auf die Frage, an welchem Loch denn der beste Ausblick für Zuschauer sei. An keinem Loch. Der Platz ist an guten Tagen bloß Durchschnitt. Verständlich, Poulter wurde 2003 mit Runden von 78, 72, 70 und 75 nur geteilter 46. in Royal St. Georges der Frust saß tief. Aber, Herr Poulter, das ist Links Golf, wie es eben schöner und fürchterlicher zugleich nicht sein kann. Wer das nicht mag, der mag kein Golf.