Golf Medico

Anatomie der Schulter – Orthopädie für Golfer

Anatomie der Schulter
Dr. Sven Lichtenberg

„Eine Operation kann auch kontraproduktiv sein!“

Ein Gespräch über Dysbalancen und die Anatomie der Schulter

Dr. Sven Lichtenberg praktiziert am Deutschen Gelenkzentrum in Heidelberg. Er ist selbst passionierter Golfer und spielt in den Hohenhardter Golfanlagen in Wiesloch. Wir trafen ihn im Clubhaus und lernten viel über die Anatomie der Schulter im Golfsport.   

GM: „Du musst die Schultern weiter aufdrehen!“ – ein vielzitierter Schwungtipp von Golflehrern, der bei vielen Golfern auf dafür nicht ausgeprägte körperliche Voraussetzungen trifft. Was ist die Meinung des Experten?  

Das hat zunächst einmal nichts mit dem Schultergelenk zu tun. Insofern kann man dem Golflehrer für diese Aussage nichts vorwerfen. Orthopädisch gesehen findet die Schulterdrehung in der Wirbelsäule statt – die Schultern sind also gar nicht betroffen. Liegen Defizite in der Drehung vor, weist das zunächst nur auf Probleme in der Wirbelsäule (hauptsächlich der Brustwirbelsäule) hin. Auch Menschen mit der rheumatisch-entzündlichen Erkrankung Morbus Bechterew mit zunehmender Krümmung des Rückens sind bspw. stark im Radius eingeschränkt. 

GM: Lassen Sie uns die Ursachen und Behandlungsformen einzeln nacheinander betrachten. Sind einseitige Belastungen im Sport ursächlich? 

Absolut. Gerade Leistungssport auf hohem Niveau, sofern Trainingsausführung und -intensität nicht sportmedizinisch überwacht werden. Zu hohe Beanspruchung und Verschleißerscheinungen sind aber auch im Breitensport zu beobachten. Durch die einseitige Belastung können muskuläre Dysbalancen entstehen, die sich verfestigen und in der Folge zu Schmerzen und zu einem inadäquaten Golfschwung führen können. Die Technik spielt ebenfalls eine sehr große Rolle. 

Und um auf die Golflehrer zurückzukommen: Viele Pros wissen nicht, wie sie ihre Schüler vor medizinischen Problemen schützen können, soll heißen, dass eine Aufschlüsselung der einzelnen Bewegungsregionen nicht stattfindet. Hierbei könnte ansonsten festgestellt werden, in welchem Segment es klemmt. Eine Schwungkinematik wird auf der durchschnittlichen Range im Breitensport kaum gelehrt. Das finden Sie nur in sehr guten Leistungszentren, obwohl man gerade im Breitensport viele Behandlungen vermeiden könnte. 

GM: Was empfiehlt ein Orthopäde konkret, um dem entgegenzuwirken? 

Ferndiagnosen sind immer schwer zu stellen und es sind nicht nur die Golflehrer, die dort großen Nachholbedarf haben. Ein Beispiel, weshalb auch ortsansässige Orthopäden oder Physiotherapeuten eine große Rolle spielen: Bei der Patientenaussage „Nachts im Bett tut mir die Schulter weh!“, reagieren einfach zu viele Kollegen sofort mit der Diagnose, dass es sich um ein „Impingement-Syndrom“ (Engpass-Syndrom) handeln würde. Darauf folgt eine rasche Schulterarthroskopie, bei der während des Eingriffs „Platz unter dem Schulterdach gemacht wird“, um es verständlich auszudrücken. Es wird also reflexartig viel zu schnell operiert, obwohl eine konservative Therapie deutlich nachhaltiger sein kann. 

Eine ausführliche Analyse der Schulterbewegung steht bei der korrekten Diagnose im Vordergrund. Diese sollte sich ein erfahrener Schulterspezialist und/oder ein Physiotherapeut durchführen, damit voreilige Operationen vermieden werden und konservative Maßnahmen gezielter stattfinden können. Hat der Patient verkürzte Muskeln? Gibt es Dysbalancen bei der Schulterblattbewegung? Da sind Spezialisten gefragt. Im Optimalfall bemerkt das auch der orthopädisch zusatzqualifizierte Pro und es entsteht ein heilendes Zusammenspiel aus allen Akteuren. 

GM: Lassen Sie uns bei den Diagnosen bleiben: Gibt es eigentlich die „Golferschulter“? Manche Orthopäden nutzen diesen Begriff. 

Die Golferschulter ist kein feststehender Begriff. Selbst in der Literatur finden sich dazu nur Einzeldiagnosen, wie bspw. Verletzungen des Schlagarms, der Führungshand usw. Manch Orthopäde mag verschiedene Erkrankungen so zusammenfassen, aber eine Golferschulter gibt es de facto nicht. 

GM: Welche Diagnosen stellen Sie am häufigsten bei Schlagsportarten wie Golf oder Tennis?  

Golf hat eher Gemeinsamkeiten mit Hockey, weniger mit Tennis. Bei beiden Sportarten finden die Schlagbewegungen unterhalb der Schulterebene statt. Es entstehen keine starken Kräfte oberhalb des Kopfes, wie es bei Badminton, Tennis, oder Volleyball der Fall ist. Bei diesen Überkopfballsportarten sehe ich oft Schäden der der Rotatorenmanschette und der Bizepssehne. Beim Golfsport tauchen tatsächlich mehr Überlastungsschäden oder degenerative Probleme auf. 

GM: Dann etwas konkreter: Was ist eigentlich ein Impingement- oder Engpass-Syndrom und wie entsteht es? 

Auf den Punkt gebracht, bedeutet es das Einklemmen der Strukturen zwischen Oberarmkopf und Schulterdach. Mit „Strukturen“ sind die Rotatorenmanschette und der Schleimbeutel gemeint. Die Ursachen sind sehr vielfältig, daher ist die korrekte Diagnose umso wichtiger. Bei einem klassisch knöchernen Impingement führen knöcherne Strukturen (wie bspw. ein Knochensporn) zur Verengung. Das ist die echte und einzige Indikation, die eine Operation rechtfertigt.  
 
Alle anderen Impingementformen begründen sich durch Entzündungen, leichtere Verletzungen und vor allem Fehlhaltungen, bei denen Patienten das Schulterdach nicht richtig positionieren. Diese Fehlpositionierung kann durch vieles bedingt sein: Morbus Bechterew, eine Lähmung der Muskeln oder eine Verkürzung der vorderen Partien. Diese sogenannten „funktionellen Impingementformen“ darf man keinesfalls operieren. Genau hier trennt sich die Spreu vom Weizen, denn eine Operation kann bei einer strukturell gesunden Schultern auch Schaden anrichten. Ein guter Physio und ein spezialisierter Orthopäde sind in der Diagnostik extrem wichtig und sollten eng zusammenarbeiten. 

GM: Was ist die Rotatorenmanschette und wie behandelt man diese? 

Dazu ein Ausflug in die Anatomie der Schukter: Der Muskel ist das rote Fleisch. Sendet der Nerv ein Signal, ziehen sich die Muskelfasern zusammen. Am Ende jedes Muskels befindet sich eine Sehne, die wiederum am Knochen befestigt ist. Zieht der Muskel an der Sehne, bewegt sich der Knochen. Die Rotatorenmanschette ist dafür verantwortlich, dass der Oberarmkopf rotieren kann – nach innen und außen sowie abspreizend. Die besondere Funktion des oberen Teils (Supraspinatus) besteht darin, dass der Oberarmkopf unter das Schulterdach rauscht. Der Hauptmuskel dafür ist der Deltamuskel (seitlich an der Schulter). Supraspinatus und die übrigen Rotatoren halten sozusagen den Kopf in der Pfanne. 
 
Der Supraspinatus leidet, die Rotatorenmanschette altert im Laufe der Zeit. Das ist das Gros der Probleme. Schäden durch Einengung gibt es auch – diese aber nur bei knöcherner Struktur, sie sind also eher selten. 

Alles, was im aktiven Alter bei den Rotatoren durch Unfall oder Verletzung kaputtgeht, sollte man direkt reparieren, zumal es sonst zu bleibenden Defiziten kommen kann. Konservative Behandlungen funktionieren auch, aber man muss sich bewusst sein, dass im aktiven Alter Schwächen bleiben können.  

Bei degenerativen Sehnenschäden sollte man mit operativen Eingriffen sehr vorsichtig sein. Meistens ist der Verlauf der Sehnenschädigung nicht durch eine OP veränderbar. Diese Erkenntnis setzt sich in den letzten Jahren verstärkt durch. 

GM: Sind Schulterluxationen (Auskugeln) eigentlich häufig? Wie stellt man so etwas an und ist eine Operation zwingend erforderlich? 

Beim Golfschlag luxiert die Schulter nicht. Die klassische Situation des Auskugelns entsteht, wenn man nach vorne stürzt (bspw. eine Treppe herunter) und sich dabei am Geländer festhält. Der Körper bewegt sich bergab in Richtung Boden, die Hand hält den Arm aber oben fest. Hier gilt die Faustregel, dass man ab 35 Jahren aufwärts nicht zwangsläufig operieren muss. Die typischen Schäden der Gelenk stabilisierenden Bandstrukturen sind in diesem Alter seltener. Bei diesen „älteren“ Patienten entstehen eher Sehnenrisse, die eine Operation erfordern. Einen Gelenkpfannenschaden sollte man dann operieren, wenn etwas abgebrochen ist. Stellen Sie es sich wie bei einem Holztee vor: Fehlt dort eine Ecke, fällt der Ball halt auch immer runter (lacht). 

GM: Die wichtigste Frage gilt natürlich dem Golferellenbogen: Weshalb dauert der Heilungsprozess so lange? Und haben Sie das „schnell-weg-Rezept?“ 

„Schnell weg“ gibt es leider nicht. Der Golfer- oder Tennisellenbogen ist tatsächlich oft sehr langwierig. Die Golfer haben die Schmerzen zu 90% auf der Innenseite und die Tennisspieler außen. Fehlbelastungen und Überlastungen sind das Kernproblem. Eine Fehlbelastung kann mit Griffposition, Griffstärke oder falschem Schaftmaterial zu tun haben. Degeneration kann ebenfalls eine Rolle spielen. Man sollte eine Golferellenbogen nicht unterschätzen und rechtzeitig gegensteuern, zumal die beteiligten Sehnen reißen können.  
 
Bei dieser Diagnoser sollte der Orthopäde ein MRT anfertigen lassen, um sich ein umfassendes Bild von der Sehnenstrukturen machen zu können. Die schlechteste Behandlung, die aber leider von vielen Kollegen bis heute angewendet wird, ist das Spritzen von Cortison. Unter Fachleuten ist das keine Option mehr, da man Gefahr läuft, die Sehne zusätzlich zu schädigen. Auch hier gilt: Bei Unsicherheit eine Zweitmeinung einholen. Der lange Weg der Heilung wird konservativ in Form von Dehnungsübungen, Tiefenmassagen, Stromtherapie und Kräftigung flankiert.  

GM: Wenn so ziemlich alles lädiert ist, muss man wohl über eine Schulterprothese nachdenken. Was ist hier die Hauptursache? 
 
Die Notwendigkeit einer Prothese füllt ein einwöchiges Seminarprogramm, aber ich versuche es kurz zu erklären. Grob einteilen kann man es wie folgt: 

  1. Typische Arthrose – die Abnutzung der Gelenkknorpelflächen wie bei einer Hüftarthrose, betrifft auch noch aktive Menschen zwischen 60 und 70 Jahren. Hier kann man eine anatomische Prothese einsetzen. Das bedeutet, dass man den Oberarmkopf durch einen neuen Kopf und die Pfanne durch etwas Pfannenartiges ersetzt. Diese anatomischen Prothesen funktionieren jedoch nur, wenn die Rotatorenmanschette weiterhin intakt ist. 
  1. Schulterinstabilitäten (Luxation, Auskugeln) können bereits im Alter ab 40 Jahren eine sehr frühe Arthrose bedingen. Diese Patienten benötigen ebenfalls eine anatomische Prothese.  
  1. Nach Brüchen (Oberarmkopffrakturen), die nicht gut verheilt sind und der Oberarmkopf nicht gut versorgt wurde und bspw. abgestorben ist, wird bei intakter Rotatorenmanschette eine anatomische Prothese implantiert. Eine inverse Prothese ist erforderlich, wenn die Rotatoren defekt sind. Einfach gesprochen bedeutet diese umgedrehte Form der Prothese, dass man den Oberarmknochen nicht mit etwas Rundem, sondern genau umgekehrt mit etwas Pfannenartigem und die Pfanne wiederum mit etwas Rundem versorgt. Durch das „Drehen“ dieser Partner mache ich den Patienten unabhängig von der Rotatorenmanschette. Aufgrund des Deltamuskels können Patienten den Arm wieder heben. Sie wird auch dann eingesetzt, wenn die Rotatorenmanschette nicht mehr vorhanden ist; das ist das ursprüngliche Anwendungsgebiet. 

Heutzutage lockern sich künstliche Schultergelenke nicht mehr häufig und halten wie ein Hüftgelenk gute zwölf bis 15 Jahre. Bei meinen Untersuchungen unter den golfenden Patienten sind nicht wenige, die auch mit Prothesen wieder Drives auf über 200 Meter schicken. 

Bei einem optimalen Verlauf wird man also wieder Golf spielen können. Eine Studie aus den USA sagt, dass die Golffähigkeit nach anatomischer Golfprothese sogar besser war und sich die Handicaps der Studienteilnehmer verbesserten. Ich gehe allerdings nicht davon aus, dass dies an den Prothesen lag, sondern vielmehr daran, dass man nach solch einem Eingriff sicherlich nicht mehr so übermotiviert auf den Ball schlägt (lacht). 

GM: Die wichtigste Frage zum Abschluss: Was beugt wirklich vor? Aufwärmen? 

Absolut – wie bei jeder Sportart! Ich fahre auch leidenschaftlich gern Ski und sehe die Leute dort direkt vom Frühstück auf den Lift zusteuern und dann die schwarzen Pisten runterfahren. Das kann langfristig nur in die Orthopädiepraxis führen, da der Körper noch nicht bewegungsbereit ist. Auch bei einem Golfschlag kann man überdehnen und zerren und sich immer wieder kleinere Verletzungen zuziehen. Es gehört medizinisch gesehen schlichtweg dazu, vor dem Sport den Kreislauf in Schwung zu bringen. Zehn Minuten auf der Stelle joggen, dehnen im Rumpf-, Bein-, Schulter-, und Armbereich sind ein Muss.