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Das „Darmhirn“ – Interview mit Prof. Dr. Hasler

Prof. Dr. Hasler

„Ach komm – ich ziehe den Driver!“ – wie das „Darmhirn“ unser Handeln beeinflusst

Die geflügelten Wörter haben es uns schon immer vor Augen gehalten: Der Sitz der Gefühle befindet sich in der Mitte des Körpers. Wenn wir ein „gutes Bauchgefühl“ haben, „Schmetterlinge im Bauch“ umherflattern oder wenn uns vor Punktspielen die Aufregung auf den Magen schlägt – immer spielt das Gehirn in unserem Bauch eine bedeutende Rolle! 

Erst vor relativ kurzer Zeit rückte der sonst eher mit Peinlichkeiten behaftete Darm in den Fokus der Wissenschaft. Er beherbergt mehr als 100 Millionen Nervenzellen und ist laut Forschern eine Kopie des Kopfhirns. Die wesentlichen Bestandteile wie Rezeptoren und Zelltypen sind gleich. Höchste Zeit also, sich mit einem Fachmann auf diesem Gebiet zu unterhalten: Prof. Dr. Gregor Hasler ist Professor für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Freiburg sowie Chefarzt der Forschungsabteilung des Freiburger Netzwerks für psychiatrische Gesundheit. Er forscht in Bereichen wie bio-psycho-soziale Interaktionen und neurowissenschaftlicher Psychiatrie. Seine wissenschaftlichen Publikationen wurden mehrfach mit Auszeichnungen geehrt. Wir treffen ihn im Institut zu einem Gespräch über mutige Mäuse und zuckrige Killer. 

GM: Herr Professor Hasler, lassen Sie uns direkt mit der Anatomie der „Darm-Hirn-Connection“ beginnen, denn Ihr erfolgreiches Buch trägt denselben Titel. Weshalb „Connection“? 

Prof. Dr. Hasler: Die einfachste Funktion des Darms ist sicherlich jedem bekannt. Der Darm sortiert die gut 25 Tonnen Nahrung und 55.000 Liter Flüssigkeit, die ihn im Laufe eines 70-jährigen Lebens passieren. Dabei spürt er auch chemische Substanzen, Gifte und andere Gefahren auf. Er analysiert und sendet im Ernstfall Notsignale an das Kopfhirn. Dort werden daraufhin Evakuierungsmaßnahmen eingeleitet (Erbrechen und Entleerung).  

Der Darm ist auch ein Sinnesorgan. Er hilft herauszufinden, ob wir in einer guten oder schlechten Umgebung sind, wie toxisch sie ist, und ja, der Darm verfügt über eine erstaunlich reiche Sprache, um mit dem Hirn zu kommunizieren: Hormone, Nerven, Immunfaktoren, biochemische Prozesse. Mittlerweile ist der Wissenschaft bekannt, dass das Kopfhirn mit dem Darmhirn auch über den Vagusnerv (erkläre ich später) kommuniziert. 

GM: Lassen Sie uns auf Prüfungssituationen und druckvolle Sportsituationen zu sprechen kommen. Wie kommt es zu der allseits bekannten Alarmstimmung im Darm? Wer funkt wie zu wem? 

Prof. Dr. Hasler: Derartige Momente werden von uns als Stress- und Gefahrensituationen einsortiert, die einen Fluchtreflex auslösen. Um der Skelettmuskulatur dafür ausreichend Energie zur Verfügung stellen zu können, wird die Durchblutung des Darms gehemmt. Dabei ist auch das Hirn weniger empfänglich für die Impulse aus dem Darm über den Vagusnerv. Der Darm ist ein wichtiges Sinnesorgan, dass aber bei Stress an Bedeutung verliert. Es geht ja um eine Akutreaktion wie Flucht oder Kampf, und dazu gibt es keine Entscheidungsfindung mit dem Darm. Dieser entleert sich – vereinfacht gesprochen – also zur Sicherheit. Bei Dauerstress kann es übrigens zu entzündlichen Prozessen und einer Störung der Darmflora kommen. Der Darm sendet in diesem Fall ein permanentes Stresssignal an das Gehirn. 

GM: Kann man das beeinflussen? Kann man den Vagusnerv vor einem wichtigen Turnier steuern? 

Prof. Dr. Hasler: Zunächst einmal sollten wir den Vagusnerv erklären: Er ist – vereinfacht gesprochen – die Datenautobahn zwischen Gehirn und Darm. Er ist der längste der Hirnnerven und reicht bis in den Magen-Darm-Trakt und weitere Organe. Man nennt ihn auch den „Selbstheilungsnerv“. Er nimmt Einfluss auf unser Wohlbefinden und kann tatsächlich gelenkt werden. Dafür gibt es viele einfache, schnelle Übungen, die der Leser aber googeln sollte, da dies den Rahmen hier sprengen würde. Es gibt auch ganze Ratgeber und Bücher, die sich mittlerweile dem Vagusnerv widmen. Ganz wichtig sind langfristig die Pausen im Leben. Schlafmangel ist etwa ein wesentlicher Grund für Sportverletzungen, aber auch psychosomatische Beschwerden können dadurch bei Sportlern auftreten. 

GM: Gibt es Forschungen, aus denen man ableiten kann, ob man seine Persönlichkeit über das Mikrobiom beeinflussen kann? Also kann man durch gezielte Gabe von Probiotika aus einem ängstlichen einen mutigen Menschen machen? 

Prof. Dr. Hasler: Ja, ich kann mir das vorstellen, und es gibt einige Daten dazu, dass Tiere, denen man Milchsäure-Bakterien in den Darm gibt, stressresistenter sind. Persönlichkeitspsychologisch könnte man sagen, ihre Emotionskontrolle nimmt ab, was wiederum positiv ist. Menschen mit hoher Emotionskontrolle (Neutrotizismus) wirken oft aufgeregt, unsicher, sind leicht reizbar und nervös. Auch das Sozialverhalten scheint durch das Mikrobiom beeinflusst zu werden. Eine Studie zeigte, dass fermentierte Nahrung zu einer Abnahme von sozialen Ängsten führt und die Personen extrovertierter wurden. Und tatsächlich existieren Tierversuche mit Mäusen, bei denen der Stuhl mutiger Mäuse bei ängstlichen Mäusen eingepflanzt wurde, und diese anschließend genauso mutig wie ihre Artgenossen wurden. Bis dies beim Menschen allerdings so weit ist, werden noch einige Dekaden vergehen. Sie werden da lieber weiter an Ihrer Technik beim Abschlag feilen müssen (lacht). 

GM: Glauben Sie, dass allein unser Hirn für Denkprozesse verantwortlich ist? 

Prof. Dr. Hasler: Nein, das Gehirn kommuniziert fortlaufend mit dem Körper, auch bei Denkprozessen. Sind Sie hungrig oder satt? Können Sie sich gut konzentrieren? Wie ist Ihre Laune? Sind Sie nach etwas süchtig? Unsere Emotionen und Wahrnehmungen werden über Botenstoffe gesteuert. Diese basieren auf Darmbakterien und werden für unser Gehirn gebildet. Der Körper ist wie ein Resonanzraum, in dem ich mir verschiedene Optionen nicht nur mental vorstellen, sondern auch körperlich anfühlen kann. Letztendlich merken wir ja, dass es uns nicht nur mental, sondern auch ganzheitlich gut geht – und umgekehrt.  

GM: Wir danken für das Gespräch! 

Prof. Dr. Hasler

Buchvorstellung  

Die Darm-Hirn-Connection: Revolutionäres Wissen für unsere psychische und körperliche Gesundheit (Wissen & Leben) 

Der Darm ist als Gesprächsthema salonfähig geworden: Laktoseintoleranz, Glutenunverträglichkeit und Blähungen treiben uns um. Das Thema birgt aber noch viel mehr Potenzial und geht über das körperliche Befinden hinaus: Das Mikrobiom im Darm ist der Schlüssel zu unserem Glück! 
 
Gregor Hasler, Professor für Molekulare Psychiatrie, wandelt schon lange auf den Spuren der Därme beziehungsweise der Ernährung seiner psychisch erkrankten Patienten. Seine Studien geben ebenso wie eine Reihe weiterer Untersuchungen Hinweise darauf, dass psychische Probleme auch mit der Zusammensetzung des Darmmikrobioms einhergehen. Ein Ungleichgewicht im Darm-Hirn-Link, den der sogenannte Vagusnerv besonders augenfällig macht, kann zu Krankheiten beitragen. Diese senken nicht nur das Wohlbefinden, sondern verkürzen auch die Lebenszeit: Übergewicht, Diabetes, Herzkrankheiten, Essstörungen, Depression, Autismus, posttraumatische Belastungsstörung, Schizophrenie und Demenz.

Es ist nun wissenschaftlich plausibel, dass Ernährungsumstellungen, Präbiotika und Antioxidantien über die Darm-Hirn-Connection unsere psychische und körperliche Widerstandskraft stärken. Auch wenn es keine allgemeine Methode gibt und wir alle unsere individuellen Lösungen finden müssen: Unsere Gesundheit liegt viel mehr in unseren Händen und erstaunlicherweise tatsächlich in unserem Darm, als wir es uns je vorgestellt haben.  

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