Golf Medico

Ein Update in Sachen Zecken

Der beste Schutz gegen einen Zeckenstich ist auch im Hochsommer die geeignete Kleidung, sprich lange Hose und Socken.

Ein Gespräch mit Dr. Carsten Nicolaus, Ärztlicher Leiter der BCA-clinic

Die amtlichen Meldungen von Infektionen durch Zecken in Deutschland erreichte auch 2019 wieder einen Höchststand. Die Fallzahlen steigen stetig, das Jahr 2018 stellte einen neuen Rekord auf. Die klimatischen Bedingungen scheinen mittlerweile auch exotischen Zeckenarten ein Überleben zu ermöglichen. Höchste Zeit, uns mit einem Fachmann in Sachen Borreliose und FSME (Frühsommer-Meningoenzephalitis) zu unterhalten. Wir sprachen mit Herrn Dr. Carsten Nicolaus, dem ärztlichen Leiter der führenden Borreliose-Klinik in Deutschland.

Dr. Carsten Nicolaus
Der gebürtige Niedersachse studierte in Regensburg Medizin und erhielt seine Approbation 1988. Anschließend promovierte Dr. Nicolaus 1989 an der TU München am Klinikum »Rechts der Isar«. 1990 eröffnete er eine Praxis für Allgemeinmedizin in Bergheim bei Augsburg. Im Jahr 2006 gründete er schließlich die BCA-clinic und widmet sich seit dieser Zeit ausschließlich den durch Zecken übertragenen Erkrankungen. Dr. Nicolaus ist seit vielen Jahren aktives Mitglied der Deutschen Borreliose-Gesellschaft und war von 2012 bis 2017 im Vorstand der ILADS (International Lyme and Associated Diseases Society) tätig.

Herr Dr. Nicolaus, die Nachrichtenlage hinsichtlich immer exotischerer Zeckenarten und steigender Erkrankungszahlen lässt uns Golfer in besonderer Weise aufhorchen, zumal wir zur Hauptsaison der Zecken unsere Bälle im Unterholz suchen. Gibt es Anlass zur Sorge?
Seit etwa 20 Jahren wächst das Risiko an Zecken übertragenen Erkrankungen weltweit beständig. Neben der Borreliose tauchen immer weitere Co-Infektionen auf, die ebenfalls von Zecken oder auch anderen blutsaugenden Insekten, wie Bremsen, Kriebelmücken und den normalen Mücken, übertragen werden. In den meisten Fällen sind die Akutstadien dieser Infektionen, sofern sie sofort erkannt werden, sehr gut zu behandeln. Nach einem Zeckenstich können bei einer Borreliose zum Beispiel in der Hälfte der Fälle eine Wanderröte oder grippale Symptome auftreten. Das ist für den Patienten oder den Arzt einfach: Für zwei bis vier Wochen erfolgt eine Therapie mit einem Antibiotikum, die im Regelfall mit einer erfolgreichen Behandlung abschließt.

Was, wenn die Erkrankung nicht frühzeitig erkannt wird?
Dann kann die Infektion im Akutstadium schwerwiegender verlaufen. Die Borrelien gelangen dabei in bestimmte Organsysteme und verursachen zumeist deutlich schwerere Symptome. Sie können beispielsweise in das Nervensystem eindringen und eine akute Neuro-Borreliose auslösen – eine Entzündung der Hirnhäute und der Nervenwurzeln des Rückenmarks ist die Folge. Wir sprechen dann von einer Meningopolyradikulitis, die mit quälenden Schmerzen einhergeht. Es können aber auch Missempfindungen und Lähmungen auftreten. In diesem fortgeschrittenen Stadium der Borreliose können darüber hinaus das Herz oder die Gelenke befallen werden, was sich klinisch natürlich anders äußert.

Klingt schon erschreckend. Wie sollte man sich daher bei einem »Anfangsverdacht« verhalten?
Leider können sich auch Symptome entwickeln, ohne dass die Betroffenen einen Zecken- oder Insektenstich bemerkt haben. Vor allem Golfern sollte das Risiko bewusst sein, dass auf den meisten Golfplätzen in Deutschland, aber auch in fast allen anderen europäischen Ländern und in vielen Regionen in Übersee eine erhöhte Gefahr besteht. Wichtig ist es deshalb, bei jedweder Verschlechterung des Allgemeinzustands oder bei den spezifischen Zeckenstich-Symptomen einen Arzt aufzusuchen.

In etwa fünf bis zehn Prozent der Fälle kann eine Borreliose – und auch andere von Zecken übertragene Erkrankungen – zu chronischen Krankheitsverläufen mit erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen führen. Insbesondere in den letzten Jahren konnte man das wiederholt bei einigen Golfprofis beobachten. Ich darf in diesem Zusammenhang an Jimmy Walker und auch Fabienne In-Albon erinnern. Und ganz aktuell hat Sandra Gal ihre Saison 2019 aufgrund einer Lyme-Borreliose frühzeitig beenden müssen.
Leider behandeln wir in unserer Klinik auch viele Amateurgolfsportler, die an einer chronischen Borreliose leiden. Die Behandlung dieser chronischen Verlaufsform ist wesentlich komplizierter und entgegen der landläufigen Meinung äußerst langwierig.

Kann man sich denn gar nicht vor den Plagegeistern schützen? Lange Hosen anziehen und anschließend die Hosenbeine in die Socken stecken, wird sich im Sommer auf dem Golfplatz vermutlich nicht durchsetzen. Eher werden die Bälle in Bermudashorts im hohen Gras gesucht. Was gibt es an Naturmitteln? Wir hörten von Erfolgen durch die Laurinsäure in Kokosöl. Oder auch Zistrose und Geraniol sollen eine große Wirkung erzielen…
Auch wenn Sie es ungern hören: Der beste Schutz gegen einen Zeckenstich ist auch im Hochsommer die geeignete Kleidung, sprich lange Hose und Socken. Mittlerweile gibt es erste Golffunktionsbekleidung mit Insektenschutz, die in der Regel mit Permethrin imprägniert ist. Für diejenigen Golfer, die trotz aller Warnung partout auf zweckmäßige Kleidung verzichten wollen und weiterhin die kurzen Hosen und Röcke favorisieren, können sogenannte »Repellentien« verwenden – Sprays oder Lotions, die direkt auf Haut oder Kleidung aufgetragen werden. Es gibt jedoch kein Wundermittel, das uns hundertprozentig vor einer Zecke oder anderen Insekten schützt. Einen objektiven Test hat die Stiftung Warentest vor einiger Zeit durchgeführt, diesen können Sie googeln. Ich spiele selbst seit 25 Jahren leidenschaftlich Golf und kann Ihnen nur raten, sich über den Kleidungsstil zu schützen. Es ist und bleibt auf absehbare Zeit die einzig wirksame Möglichkeit.

Keine Naturheilmittel?
Die von Ihnen genannten stehen auf der Liste der »möglich wirksamen Mittel«, aber die Studienlage dazu ist einfach zu dünn. Wir behandeln chronisch Kranke bei Antibiotika-Unverträglichkeiten auch mit natürlichen Alternativen, verschließen uns dem Thema also nicht. Aber wenn Sie so tief in der Forschungsarbeit stecken wie wir, dann darf man Empfehlungen nur aufgrund fundierter Erkenntnisse aussprechen – und diese sehe ich aktuell nicht.

Leider ist FSME nicht behandelbar. Deshalb ist die präventive Impfung so wichtig und insbesondere Golfern in Süddeutschland dringend anzuraten.

Wie stellt man überhaupt eine klare Diagnose respektive ab wann ist diese möglich? Man liest sehr viel von überflüssigen und falschen Bluttests. Können Sie uns da aufklären?
Eine Borreliose und viele weitere Erkrankungen, die durch Zecken übertragen werden, werden zunächst klinisch diagnostiziert. In den Fällen, in denen der Patient den Zeckenstich bemerkt hat, schaut man auf die sogenannten sicheren klinischen Anzeichen, wie zum Beispiel eine Wanderröte, Unregelmäßigkeiten der Haut oder grippale Symptome. Ist das Stadium der Ausstreuung erreicht, weiten sich die Symptome auf das Herz, wie zum Beispiel eine Rhythmusstörung, und auf das Nervensystem aus. Sehr häufig ist auch eine Lyme-Arthritis zu beobachten. Dabei handelt es sich in den allermeisten Fällen um eine massive Schwellung mit starken Schmerzen im Kniegelenk. Die Labortests dienen lediglich zur Bestätigung der klinischen Situation. In fast allen Ländern ist eine sogenannte »Zweistufen-Testung« vorgeschrieben. Zunächst wird ein Suchtest (ELISA-Test) durchgeführt, der bei einem pathologischen Ausfall durch einen Immuno-oder Westernblot-Test bestätigt werden muss.
Und hier fangen dann die wirklichen Probleme für die Betroffenen an. Der erste Test besitzt im Durchschnitt nur eine 50-prozentige Sensitivität, was nahezu in jedem zweiten Fall zu falschen negativen Befunden führen kann. Das ist leider einer der Gründe, warum einige Patienten chronisch an Borreliose erkranken. Manchen Fällen geht einer sehr umfangreiche Diagnostik voraus: Dazu zählen auch Direkterregernachweise mittels PCR-Testung (Erreger-DNA-Nachweis) in den Körperflüssigkeiten, wie Blut, Gelenkflüssigkeit und Nervenwasser oder Hautbiopsien. Für die chronischen Stadien der von Zecken übertragenen Erkrankungen setzen wir in unserer Klinik zudem sogenannte zelluläre Tests parallel ein, um die Diagnose abzusichern.
Leider gibt es immer wieder Betroffene, die durchschnittlich viereinhalb Jahre durch Arztpraxen aller Fachrichtungen gehen, um endlich eine präzise Diagnose zu erhalten – oder sich in psychologischer Behandlung wiederzufinden. Um es vorsichtig auszudrücken: Borreliose ist in Deutschland noch nicht im Bewusstsein aller Kollegen angekommen.

Wenn Borreliose diagnostiziert wird, was ist der neueste Stand hinsichtlich der Behandlungen? Oftmals hört man von einer direkten Antibiotika-Therapie nach Feststellen des Stiches. Ist das noch aktuell? Kann man FSME behandeln?
Die Behandlung der von Zecken übertragenen Erkrankungen, wie Borreliose, erfolgt durch die Einnahme von Antibiotika. Im Akutstadium reicht der Einsatz eines Antibiotikums über zwei bis vier Wochen in der Regel aus. Letztendlich können viele unterschiedliche Antibiotika zum Einsatz kommen. In sehr komplizierten Fällen, dem angesprochenen Stadium bei Ausstreuung der Borrelien, kann eine intravenöse Behandlung für zwei bis vier Wochen erforderlich sein. Bei chronischen Verläufen wird die Behandlung zumeist über einen längeren Zeitraum indiziert.
FSME ist eine Virusinfektion, die durch Zecken übertragen wird. Die höchste Inzidenz befindet sich derzeit noch in Süddeutschland (Bayern und Baden-Württemberg). Hier ist eine Impfung – in beiden Bundesländern zählt sie zu den Regelimpfungen – dringend empfohlen. Leider ist FSME nicht behandelbar. Deshalb ist die präventive Impfung so wichtig und insbesondere Golfern in diesen beiden Bundesländern dringend anzuraten. Kinder haben nach einer Infektion noch eine relativ gute Prognose, während es bei Erwachsenen regelmäßig zu schwersten Verläufen und Pflegebedürftigkeit kommt. Auch Todesfälle sind regelmäßig beschrieben. Auf manchen Golfplätzen in Süddeutschland wird daher explizit auf dieses Risiko hingewiesen.

Also eher ein süddeutsches Problem?
Nein, leider nicht mehr. FSME verbreitet sich unaufhaltsam auch in den nördlichen Bundesländern. Und auch die Mär von zeckenfreien Gebieten, wie Skandinavien und Regionen über 1.000 Höhenmetern, gilt 2019 nicht mehr. Die Zecken sind aufgrund der immer milderen Winter nicht mehr saisonal präsent. Eine Zecke ist ab sieben Grad Celsius aktiv und kennt keine Jahreszeiten. Es wurden schon infizierte Eisbären entdeckt.
Übrigens: Die hierzulande gefundenen exotischen Arten besitzen im Augenblick noch keine klinische Relevanz. In Deutschland ist erst ein Fall von durch Zecken übertragenem Fleckfieber dokumentiert – an der Ostküste der USA sind die Zahlen bereits signifikanter. Daher gehe ich davon aus, dass wir in den nächsten Jahren auch hier bei uns eine Ansiedlung erleben werden.

In den USA wurde Borreliose jahrzehntelang nicht als Krankheit gezählt. Wer den Film »Under our skin« gesehen hat, wird da schnell unsicher. Wie ist die rechtliche Versorgungslage in Deutschland? Ist die Borreliose anerkannt und werden die Behandlungskosten von allen Kassen getragen?
In Amerika hat sich, auch durch »Under our skin«, viel geändert. Bei 470.000 Neuinfektionen im letzten Jahr wurde es auch dringend Zeit… Seit 2006 arbeitet unsere Klinik mit amerikanischen Kliniken und Forschungseinrichtungen zusammen und ich muss sagen, seit einigen Jahren kommen die meisten Forschungsergebnisse bei den durch Zecken übertragenen Erkrankungen aus den USA. Leider werden auch in Deutschland nicht alle Erkenntnisse anerkannt. Wir sind, wie in anderen medizinischen Dingen, leider hinten dran.
Im Regelfall hat jeder Betroffene in Deutschland das Recht auf Diagnostik und Behandlung, ganz gleich, ob gesetzlich oder privat versichert. In den meisten Fällen klappt das auch, aber nicht immer. Ein wesentliches Problem stellt der unzureichende Kenntnisstand vieler niedergelassener ärztlicher Kollegen dar, die eine von Zecken übertragene Erkrankung als Bagatelle, die leicht zu diagnostizieren und zu behandeln ist, einstufen. Und genau das stimmt oftmals nicht. Das beginnt bei der Diagnostik und endet in unzureichenden Therapieempfehlungen.

Wir danken für das informative Gespräch!

BCA-Clinic
BCA-Clinic: Die BCA-clinic ist eine spezialisierte und ganzheitlich ausgerichtete Tagesklinik für durch Zecken übertragene Erkrankungen (Infektionen), Multi-Infektions- und Multi-System-Erkrankungen. Die Klinik hat ihren Sitz in Augsburg und führt eigene Feldstudien im Golfbereich durch. So wurden bei interessierten Clubs Zecken-Screenings durchgeführt, um die Infektionsrate zu berechnen. Diese Methode gibt Auskunft über die Dichte der infizierten Zecken einer Anlage. Auch der Bundesverband der Greenkeeper arbeitete bereits mit der Klinik zusammen. Interessierte Golfclubs können sich bei der Klinik mit Frau Thoma unter (0) 821 – 455471-40 in Verbindung setzen. Weitere Infos für Patienten im Internet unter: www.bca-clinic.de