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Herzinfarkt – Interview mit Kardiologe Dr. Steen

Dr. Steen

Herzinfarkt – ein Update in Sachen Todesursache Nr. 1

Nach unserem Bericht über den Selbsttest des Kardio Check-Ups inklusive des 3D-EKG Verfahrens „Cardisiographie“ haben uns eine Menge Zuschriften erreicht. Auch berichtete uns der Kardiologe Dr. Steen, dass sich viele Golfer auf den Weg in seine Praxis gemacht haben, um diese neuartige und unkomplizierte Vorsorgemethode zu testen. Dem Tenor der Zuschriften folgend, gehen wir in einem weiteren Interview auf das Thema „Herzinfarkt“ ein. Wie ist hier der aktuelle Stand der Wissenschaft? Was sind die Risikofaktoren? Wie beugt man vor?  

Wir treffen uns erneut in seinem Hamburger Diagnostikzentrum und führen unser Gespräch mit dem renommierten Kardiologen fort. Zur Erinnerung: Der Kardiologe und Privatdozent war vor seiner Rückkehr nach Hamburg leitender Arzt des Herzzentrums Bodensee. In seiner Vita findet sich darüber hinaus eine zweijährige Forschertätigkeit am John Hopkins Hospital in Baltimore. Aktuell ist er zusätzlich Oberarzt an der Universität Heidelberg. 

GM: Herr Dr. Steen, wir haben das Kapitel Corona endlich weitestgehend hinter uns gelassen, lesen jetzt aber immer wieder, dass Corona auch im Nachgang der Erkrankung für Infarkte verantwortlich sein kann. Was geht dort vor sich?  

Dr. Steen: Ganz neu ist das Thema nicht, denn Gerinnungsstörungen nach Infekten gab es schon immer. Was dort geschieht – und jetzt vermehrt beobachtet wird – ist eine immunologische Aktivierung der Blutplättchen. Das müssen Sie sich ähnlich einer Zusammenlagerung von Thrombozyten vorstellen, wie es bei einem Verschluss von verletzten Blutgefäßen notwendig ist. Ebenfalls kommt es zu Entzündungen der Gefäßinnenhäute – das ist jedoch in dieser Ausprägung neu. Immunologisch sind das sehr komplexe Prozesse, vereinfacht gesprochen sind diese Gefäßinnenhäute unter anderem an den Blutgerinnungsmechanismen beteiligt. Das führt in der Folge dazu, dass Gerinnungsstörungen auftreten und Herz, Hirn, Niere, Lunge oder Darm erkranken. Das alles potenziert sich mit den bekannten Risikofaktoren. 

GM: Das Thema Infarkt macht immer noch rund ein Drittel aller jährlichen Todesfälle in Deutschland aus. Was sind die hauptsächlichen Ursachen und Risikofaktoren? 

Dr. Steen: Beginnen wir mit dem modernen Leben: wenig Zeit, viel Stress, ungesunde Ernährung. Soweit nichts Neues, aber mittlerweile wissenschaftlich fundierter, welche Auswirkungen diese Parameter auf die Gesundheit haben. So führt unsere Lebensweise unmittelbar zu Bluthochdruck, der bei erhöhten Werten langfristig sehr zerstörerisch ist. Hinzu gesellen sich Erkrankungen wie Diabetes, die nachweislich das Herz beeinträchtigen und Infarkte auslösen können. Und über Nikotin sollten wir 2023 gar nicht mehr sprechen, denn zu dieser Ursache ist so umfassend wie zu keiner anderen geforscht worden. Genetische Faktoren sind nicht direkt beeinflussbar, lassen sich aber durch positives Einwirken auf unsere Lebensweise verbessern. 

Stress ist ohne dazugehörige Erholung ebenfalls ein Problem. Unser Körper ist fähig, Stress auszuhalten, benötigt aber Regenerationsphasen. Vernachlässigen Sie Ihre Work-Life-Balance, sind langfristig Herz-Kreislauf-Beschwerden die Folge. Zu wenig Schlaf gehört gleichermaßen zu diesem Risikobereich. Und das Alter ist auch ein natürliches Problem – Gefäße altern mit.  

Treten mehrere Problemfelder gleichzeitig auf, potenzieren sich die genannten Risikofaktoren. 

GM: Wie sieht, Stand heute, der optimale Blutdruck aus? 

Dr. Steen: Unter 140/90 ist alles gut – sofern man keine Risikofaktoren besitzt. Sind diese jedoch vorhanden, muss der Wert modifiziert werden. Sie können ihn bei bspw. Diabetes, Übergewicht, Genetik jeweils um 5mmHg systolisch (der obere Wert) senken. Dann liegt das optimale Ergebnis schnell bei 120/70. Das ist eine neue Erkenntnis.  

GM: Kommen wir zum Cholesterin. Gibt es hier neue Erkenntnisse? Viele Menschen beklagen sich, dass die Grenzwerte im Laufe der Jahre immer weiter gesenkt wurden respektive innerhalb Europas auch vollkommen andere Grenzwerte existieren. Sind das alles Schelme, die dort Böses denken?  

Dr. Steen: In der Tat sind US-amerikanische und europäische Grenzwerte unterschiedlich. Die europäischen sind strenger. Das Thema ist kontrovers, und Sie werden Statin-Gegner (Statine sind Cholesterinsenker, Anm. d. Red.) finden, die die Medikamente komplett abschaffen würden. Ich gehöre nicht dazu, denn bei Risikofaktoren haben sie nicht nur einen fettsenkenden Effekt, sondern auch eine entzündungshemmende Wirkung in den Gefäßwänden. Das ist aus meiner Sicht auch das Wichtigste. 

GM: Welche Rolle spielen Nahrungsergänzungen in der Vorsorge? Mittlerweile hat es die zusätzliche Gabe von Q10 bei der Verschreibung bestimmter Cholesterinsenker sogar in die Behandlungsrichtlinien geschafft. Haben Sie eine Empfehlung? 

Dr. Steen: Q10 sollte auf jeden Fall gemessen werden, weil ausreichend hohe Werte Nebenwirkungen mildern können. Q10 ist für die Muskulatur notwendig, und auch das Herz besitzt Muskelgewebe. Dieser Zusammenhang ist uns Kardiologen bekannt und kann natürlich hilfreich sein. Das Problem bei Nahrungsergänzungen und Mikronährstoffen ist leider immer dasselbe: Finanziert niemand eine große Studie, gibt es auch keine und wir müssen uns mit kleinen, experimentellen Studien zufriedengeben.  
 
Man weiß ferner, dass Omega-3-Fettsäuren Sinn ergeben. Die müssen allerdings hoch aufgereinigt sein, dann wirken sie auch gegen Oxidation in den Gefäßen, die diese in den Entzündungszustand bringt. In Studien waren Dosierungen zu niedrig. Bei kleineren, experimentellen Studien mit hochdosierten Präparaten haben sie Wirkung gezeigt. Aus molekularer Sicht erscheinen viele Dinge sinnvoll, aber wer finanziert die Studien, um Evidenz zu erhalten? 

GM: Ein Wort zur Ernährung? 

Dr. Steen: Da hat weiterhin die Empfehlung zur mediterranen Kost Bestand: gute Olivenöle, viel Fisch und Gemüse sowie Früchte und möglichst wenig Fleisch. 

GM: Was hat Alkohol für eine Wirkung? Gibt es hier einen neuen Wissensstand? Ist das Glas Rotwein wirklich gesund? 

Dr. Steen: Tja, in Maßen ist es nicht schädlich. Ich erzähle Ihnen etwas, dass Sie bitte nicht als „Freifahrtschein“ nutzen (lacht): Alkoholiker sterben nicht an Arteriosklerose, sondern an schädlichen Stoffwechselprozessen, beispielsweise der Leber. Kleine Mengen Alkohol wirken ähnlich wie Aspirin. Von mir haben Sie die Absolution zum abendlichen Glas Rotwein! 

GM: Und was spielt Salz für eine Rolle nach neuestem Erkenntnisstand? Darf man oder darf man nicht? 

Dr. Steen: Generell erhöht zu viel Salz den arteriellen Blutdruck. Dieser ist einer der treibenden Kräfte für Infarkte. Somit gilt, wenig bis in Maßen ja, allerdings wäre es wünschenswert, dass die Patienten lernen, mit wenig auszukommen. Zusätzlich gelten erhöhte Salzwerte als Unterhalter für die Herzinsuffizienz. Diese beginnt schleichend und wird eben nicht immer sofort erkannt, da Herzschwäche im Anfangsstadium häufig ohne Symptome verläuft. Kurzum: weniger ist mehr! 

GM: Was empfehlen Sie in Sachen Bewegung? Ist Golf ein optimaler Sport für das Herz? 

Dr. Steen: Absolut. Der menschliche Körper ist zum Gehen und für kurze Sprints gebaut. Sieben Kilometer moderates Gehen pro Golfrunde sind daher perfekt für das Herz-Kreislauf-System. Die Gelenkbelastungen beim Laufen hingegen sind enorm – auf Asphalt wirken Kräfte von bis zu einer Tonne auf die Gelenke. Gerade bei Schwergewichten ist Schwimmen idealer. Generell ist aber jede Form von Bewegung für das Herz erst einmal positiv. Der moderne Mensch macht leider häufig gar nichts mehr. Regelmäßiger Sport hilft generell, den Puls zu reduzieren und den Blutdruck zu senken. Der Körper kommt folglich häufiger in die Ruhe- oder Erholungsphase, in der das parasympathische Nervensystem die Organfunktionen steuert. In der sympathischen Phase werden die Organfunktionen im Stressmodus reguliert. 

GM: Welche Vorerkrankungen fördern das Risiko, einen Infarkt zu erleiden?  

Dr. Steen: Die üblichen Verdächtigen: Bluthochdruck, Diabetes, hohes Cholesterin, auch die Fülle an chronisch rheumatischen Erkrankungen. Zudem spielen auch chronische Nierenerkrankungen  eine Rolle – nach neuesten Studien bereits bei leicht eingeschränkter Nierentätigkeit. Ein Tipp ist es auch, neben den Cholesterinwerten zusätzlich die Triglyceride (Anm. d. Red.: es handelt sich auch um einen Blutfettwert) kontrollieren zu lassen.  

GM: Was empfehlen Sie in puncto Vorsorge? Die meisten Menschen mit Herzproblemen sind bekanntlich große „Verdränger“!  

Dr. Steen: Wenn man sich für seine Herzgesundheit interessiert, kann man im Netz einfach mal mit den typischen Scoring-Fragebögen beginnen. Beantworten Sie dort alles ehrlich, wissen Sie zumindest theoretisch um Ihren Risikoscore.   

Ein darauffolgender, sehr spannender Test ist der „Explorer-Test“, ein nicht invasiver Test aus der Schweiz. Das Herzinfarkt-Risiko wird dabei anhand eines Bluttests mit künstlicher Intelligenz ermittelt. Die Treffsicherheit gleicht fast der einer Gefäßdarstellung mittels Computertomograph (neun von zehn erkrankten Personen werden richtig erkannt). Zum Vergleich: Ein Belastungs-EKG beim Hausarzt findet nur fünf von zehn Kranken. Es wird deshalb kaum noch empfohlen. 

Über die schnelle und effektive Cardisiographie hatten Sie ja in der vorherigen Ausgabe berichtet. Schlägt diese an, folgt ein Stress-MRT. Warum ein MRT? Weil ich sofort ein umfangreiches Bild des gesamten Organsystems des Herzens und der Herzgesundheit habe.  

GM: Wie läuft ein Stress-MRT genau ab? 

Dr. Steen: Der Patient wird mit einem Venenzugang in das MRT gefahren. Er folgt den Atemkommandos (ca. 30 – 40 Stück). Dabei werden ca. 15 bis 20 Minuten lang bewegte und statische Bilder erstellt. Anschließend verabreiche ich dem Patienten, der für die Stressinjektion außerhalb des MRT-Geräts liegt, ein Mittel, das im ganzen Körper die Gefäße öffnet. Das fühlt sich an, als würde man „in der Sonne liegen“ oder „zwei Glas Rotwein“ trinken (lacht). Das dauert etwa zwei Minuten. Zurück im MRT-Gerät erhält der Patient ein Kontrastmittel. Jetzt sehen wir, wie das Blut pro Herzschlag durch das Herz, den Herzmuskel fließt. Das ist exakt so zielsicher wie eine invasive Herzkatheteruntersuchung.

Wir haben diese Erkenntnisse vor einigen Jahren im New England Journal vor einigen Jahren veröffentlicht. Mit einem Stress-MRT können wir neben den Durchblutungsstörungen auch sehen, ob es einmal einen versteckten Infarkt gab. Zudem können wir Herzmuskelentzündungen und Probleme an den Herzklappen oder der Hauptschlagader feststellen. In 30 bis 35 Minuten sind alle Fragen zu Ihrer Herzgesundheit beantwortet. 

Weiterhin sieht man im MRT, wieviel vom Muskel nach einem Herzinfarkt zerstört wurde. So kann man treffsicher sagen, ob es sich lohnt, einen Stent zur Erholung der Pumpkraft zu setzen, um diese zu stabilisieren. Dadurch, dass Sie das Gewebe im MRT besser sehen, hat dies im Anschluss sehr häufig therapeutische und praktische Relevanz für die Betroffenen.  

GM: Was empfehlen Sie wem konkret? Wer sollte eine Cardisiographie machen? Wer ein Stress-MRT?  

Dr. Steen: Man muss sagen, dass man „Low-Risk-Profile“, also wenig gefährdete Menschen, ausreichend mit einer Cardisiographie und einem Explorer-Test untersuchen kann. Das geht schnell und ist nicht-invasiv. Sollten diese Checks etwas Auffälliges melden, würde ich bei Patienten mit eher niedrigem Risiko im Anschluss ein Herz-CT machen – ab einem leicht erhöhten Risiko und bereits bestehenden Atemproblemen oder Rhythmusstörungen bei sportlichen Belastungen am besten gleich ein MRT. 

GM: Wir danken für das interessante Update! 

Dr. Steen
Dr. Henning Steen

Mehr Infos zur Cardisiographie finden Sie hier!