Golf Medico

Vom Unfall zum Marktführer

Als Christian Nachtwey im Alter von 34 Jahren von heute auf morgen hüftabwärts gelähmt war, dachte er zunächst daran, seine erst drei Jahre andauernde Golfsucht wieder zu begraben. Doch weit gefehlt! Der Ehrgeiz packte den sympathischen Bauunternehmer und er begann, den heutigen Marktführer »Paragolfer« zu entwickeln. Lesen Sie die faszinierende Geschichte des golfverrückten Vorsitzenden des BGV.

Steckbrief

Christian Nachtwey, Präsident des Behindertengolfclubs Deutschland

Mit 34 Motorradunfall, von der Hüfte an abwärts gelähmt, an Golfen war nicht mehr zu denken. Erst wieder, nachdem der frühere Bauunternehmer vier lange Jahre mit Elektro-Rollstühlen experimentierte und bis er die erste Lösung für sein Handicap konstruiert hatte: Sein Behinderten-Rolli ging in Serie.

»Meine Frau kommt zu Fuß kaum hinterher, also ist das eher ein optisches Problem der Kategorisierung.«

Eine Studie von 2015 besagt, dass das gemeinsame Sporttreiben von Menschen mit und ohne Behinderung im organsierten Sport in Deutschland hochgradig defizitär war. Besonders schlecht schnitt damals der Golfsport ab. Was hat sich aus Ihrer Sicht in den letzten Jahren getan? Wie sieht es mit dem Thema Inklusion in Deutschlands Golfclubs aus? 

Grundsätzlich hat sich sehr viel getan. Der DGV wurde vor einigen Jahren auf das Thema aufmerksam und setzt sich stark ein. Er initiiert eigene Ideen in dem Bereich und hat das Thema Inklusion u.a. in ein Projekt mit Unterstützung der Aktion Mensch integriert. Wir rennen immer häufiger offene Türen ein, zumal es zu einer überalternden Gesellschaft gehört, dass viele Menschen Behinderungen erwerben. Nicht jeder hat dabei so eine offensichtliche und schwerwiegende Behinderung wie ich. Wir sehen viele Golfer mit Schlaganfall, Sehbehinderungen oder anderen körperlichen Einschränkungen die den Golfsport genießen möchten und dabei leider noch vereinzelt auf Vorbehalte stoßen.

Ist die Zielgruppe der gehandicapten Golfer nicht auch eine große Chance für die Clubs? Viele bewegungseingeschränkte Golfer benötigen Hilfe. Pros, Physiotherapeuten und Ärzte bieten Kurse an, denn Golf steht bei den Reha-Sportarten überall auf den vorderen Plätzen. Weshalb passiert in den Clubs nicht noch mehr?

Ein Rollstuhlfahrer kann ja nicht einfach so anfangen, Golf zu spielen. Er kann leider nur Kaffee trinken auf der Terrasse, während der Partner vielleicht auf der Runde ist. Man muss sich bei den schwereren Behinderungen auch fragen, was zuerst da war – die Henne oder das Ei? Golfclubs müssten für diese Golfer zunächst das Equipment anschaffen – da scheitert es schon an den Investitionen, zumal man den Return on Invest nicht gleich monetär sieht. Es steht jedoch jedem Golfclub gut zu Gesicht, sich auch um körperlich benachteiligte Golfer zu kümmern denn auch diese Zielgruppe bringt langfristig neue Mitglieder. Ein Rollstuhlgolfer hat auch Verwandte und Bekannte die durch seine sportliche Betätigung auf den Golfsport aufmerksam werden.

Zudem gibt es mittlerweile Leasing und Finanzierungsangebote die den Golfclubs ermöglichen spezielle Geräte anzuschaffen und damit durch Vermietung und Golfunterricht Geld verdienen. Auch bei Charity Turnieren besteht die Möglichkeit für solche Anschaffungen Geld zu sammeln.

In jedem Golfclub gibt es auch Unternehmer die bei einer Anschaffung von Golfrollstühlen durch Werbung auf den Geräten helfen können. Ein solches Sponsoring bringt einem Unternehmen mit Sicherheit mehr Aufmerksamkeit als eine gesponsorte Holzbank auf dem 15. Abschlag!

Ich glaube einfach nicht daran, dass jeder Club infrastrukturell 100 Prozent auf die Bedürfnisse angepasst sein muss. Die Investition in den Umbau schreckt die Leute verständlicherweise ab, aber weshalb sollte man nicht im Rahmen der individuellen Möglichkeiten die Zielgruppe ansprechen? Wenn ich keine Parkplätze, Toiletten etc. bereitstellen kann, kann ich aber vielleicht für Mobilität auf dem Platz sorgen.

Haben Sie eigentlich schon vor Ihrem Unfall Golf gespielt?

Ja, ich hatte drei Jahre Golf gespielt. Mich hatte das Golffieber gerade so richtig erwischt. Nach dem Unfall hörte ich Ratschläge wie »Gehen Sie mal lieber schwimmen, da kann Ihnen jemand leichter helfen« (lacht). Nett gemeint, aber ich dachte mir: »Nur weil ich im Rollstuhl sitze, werde ich auf dieses einmalige Gefühl des fliegenden Balls nicht verzichten!«. Also galten meine Gedanken ab diesem Zeitpunkt, wie man als Rollstuhlfahrer die stehende Position erreicht. In England gab es Dreiräder, mit denen man zum Ball fährt und dann im Sitzen schlägt. Ich wollte den Leuten aber in die Augen schauen und wie früher im Stehen spielen.

Waren Sie schon immer technisch versiert? Die »Paragolfer« (heute ParaMotion) sind ja immerhin Marktführer geworden.

Na ja, das kommt wohl dabei heraus, wenn man von einer Idee positiv besessen ist. Für große Firmen sind die Investitionen natürlich zu hoch und die Zielgruppe zu klein, daher tummeln sich auch wenige Anbieter im Wettbewerb. Mittlerweile breitet sich die Marktnische immer weiter aus, denn es hilft ja nicht nur Rollstuhlfahrern, sondern auch MS-Erkrankten, Schlaganfallpatienten und sonstigen koordinativ gehandicapten Golfern.

Ich habe Tischler gelernt und war 25 Jahre selbstständig im Häuserinnenausbau. Eigentlich kam mir die Tischlerlehre am ehesten zu Hilfe. Die ersten Geräte habe ich aus Holz gebaut, um zu sehen, ob Drehpunkte etc. funktionieren. Erst dann habe ich alles einem Schmied übergegeben. Das erstellte Fahrzeug war zunächst nur für mich gedacht, dann wurden aber immer mehr Leute auf dem Golfplatz darauf aufmerksam und Ich habe mich entschlossen meine gesamte Kraft in dieses Projekt zu stecken.

Sind die Gefährte nur für den Golfplatz gedacht?

Ursprünglich waren sie das, aber mittlerweile werden sie mehr und mehr für andere Zwecke eingesetzt. Beispiele sind Bogenschützen, Angler, Land- und Pferdewirte. Es gibt einen Pferdewirt, der seine Pferde damit pflegt und bürstet. Ein Landwirt benutzt es als Stall- und Schneeschieber und repariert den Trecker im Stehen.

Lassen Sie uns über Ihr aktuelles Projekt reden. Sie verbringen den Winter in Spanien (Oliva Nova, zwischen Januar und April) und bieten Schnupperkurse für Behinderte/Rollstuhlfahrer an. Kann man sich dort einen Paragolfer / ParaMotion ebenfalls mieten?

Ja klar, wir freuen uns über jeden interessierten Rollstuhlfahrer der den Golfsport entdecken möchte und bieten neben Golf Schnupperkursen und der Vermietung von Golfrollstühlen auch Zuggeräte für den Rollstuhl und Bikes zum leihen an. Hotels, Restaurants und öffentliche Einrichtungen sind in dieser Region an Menschen mit Behinderung angepasst. Wir organisieren zudem Flüge, helfen bei der Zimmerbuchung und holen Gäste am Airport ab.

Sind die Paragolfer/ParaMotion-Buggies auch irgendwo verboten?

Eine kleine Geschichte dazu… Ein Bankdirektor wollte das Gerät unbedingt haben. Er hatte einen Schlaganfall erlitten und nach einem Test war es für ihn die optimale Lösung. In seinem elitären Club hieß es aber »Nein, bei uns bitte nicht diese Carts. Und wenn dann nur, wenn der Greenkeeper drei Monate lang mit herumfahren und zuschauen kann.«

Was soll ich sagen? Der Paragolfer hat natürlich auf dem Platz keine Spuren hinterlassen und die Nutzung wurde im Vorstand genehmigt; allerdings mit der Auflage, das Gefährt in Clubfarben zu lackieren. (lacht) Das ist schon interessant, wenn man bedenkt, dass die Buggies selbst vom Greenkeeper-Verband gestattet sind. Die Greenkeeper fahren mit wesentlich schwererem Gerät über den Platz und auf die Grüns.

Und die Mitglieder? Da gibt es doch sicherlich Berührungsängste.

Das erlebe ich selbst immer wieder, es dauert allerdings nur fünf Minuten. An Tee 1 sieht man sich schon mal Fragen ausgesetzt, ob der Viererfliegt nicht vor uns abschlagen könne. Nach fünf Minuten hat sich die Frage bereits erledigt, zumal wir natürlich fast so schnell wie ein Cart sind. Wir fahren ja auch auf das Grün zum Putten. Meine Frau kommt zu Fuß kaum hinterher, also ist das eher ein optisches Problem der Kategorisierung. Und zumeist sitzen wir schon beim Bier, wenn der vorher noch nach Durchspiel fragende Flight hereinkommt (lacht).

Können an Inklusion und Paragolfer/ ParaMotion interessierte Golfclubs mit Ihnen Kontakt aufnehmen?

Auf jeden Fall! Über den DGV sind wir als Behindertenorganisation erreichbar. Die Anfragen dort werden sowieso an uns weitergereicht. Wöchentlich gibt es dort drei bis vier Anfragen, die auch teilweise herausfordernd sind: »Ich bin Rollstuhlfahrerin, möchte nächste Woche heiraten und am Hochzeitstag einige Bälle schlagen.« sind dann die Aufgaben, die aber auch eine Menge Spaß bereiten!

Ein Wort noch zum dem Behindertengolfclub: Kann man dort Mitglied werden?

Natürlich. Man kann Golf ausprobieren und anschließend Vollmitglied bei uns werden. Der Golfclub Lilienthal ist unser Partner. Für 80 Euro per anno ist eine Mitgliedschaft, und für 220 Euro sogar eine Vollmitgliedschaft mit vollem Spielrecht auf allen Plätzen für behinderte Golfer möglich. Fair, wie ich finde.

Ein Schlusswort wäre mir noch wichtig: Die meisten Behindertengolfer finden es gar nicht schlimm, dass sie auch mal »absichtlich« zu einem Charity-Turnier eingeladen werden.

Wir können auf diese Weise anderen Menschen die Scheu vor dem Anderssein nehmen und Inklusion in die Gesellschaft bringen. Man sieht dadurch, dass es im Leben auch nach einem Schicksalsschlag weitergehen kann. Das schult auch mental – insbesondere Jugendliche haben häufig ein inspirierendes Aha-Erlebnis.

Wir danken für das Gespräch und wünschen Ihnen viel Erfolg in der Golfsaison!