Sie haben aktuell ein Buch über den Umgang mit Rückenschmerzen veröffentlicht. Darin betonen Sie die Rolle des Gehirns bei chronischen Schmerzen. Was ist damit gemeint?
Das Gehirn verarbeitet alle Schmerzsignale und bewertet sie als Warnhinweis. Bei chronischen Schmerzen kann sich dabei ein sogenanntes Schmerzgedächtnis entwickeln. Auch wenn die ursprüngliche Ursache längst abgeklungen ist, bleibt der Schmerz bestehen, weil das Nervensystem überempfindlich reagiert. Das ist kein »eingebildeter Schmerz«, sondern neurobiologisch erklärbar. Die gute Nachricht: Durch gezieltes Training lässt sich das Gehirn umprogrammieren – ein Prozess, den wir Neuroplastizität nennen.
Welche Methoden nutzen Sie, um dieses Schmerzgedächtnis zu »löschen«?
Wir kombinieren kognitive Verhaltenstherapie, Achtsamkeitstechniken, Entspannung und gezielte Bewegungstherapie. Wichtig ist, dass die Betroffenen aktiv werden und nicht passiv auf Besserung warten. Übungen, die das Körperbewusstsein schärfen – wie bewusstes Sitzen oder Atmen – helfen, das Nervensystem neu zu kalibrieren.
Bandscheibenvorfälle: weniger OP, mehr Präzision
Wie hat sich der therapeutische Umgang mit Bandscheibenvorfällen in den vergangenen 10 Jahren verändert? Operiert man heute seltener – oder einfach gezielter und individueller?
Wir operieren gezielter und individueller. Über 90 % aller Bandscheibenvorfälle heilen konservativ, also ohne OP. Wenn wir operieren, setzen wir auf minimalinvasive Verfahren mit winzigen Schnitten und geringem Muskeltrauma. Studien belegen, dass Patienten dadurch schneller mobil sind – meist nach zwei Tagen wieder zu Hause – und weniger Komplikationen haben als bei klassischen Versteifungen. Ein Beispiel: Wirbelgleiten wurde früher überwiegend versteift. Heute operieren wir es oft bewegungserhaltend. Bei der Versteifung erhält man Implantate, die bei älteren Menschen schlechter halten, weil die Knochen weicher sind. Zudem ist der Muskelschaden recht groß.
Welche Rolle spielen bildgebende Verfahren wie ein MRT in aufrechter Position oder funktionelle Diagnostik heute bei der Beurteilung komplexer Wirbelsäulenerkrankungen? Gibt es hier neue Standards oder sinnvolle Ergänzungen zur klassischen Radiologie?
In vielen Fällen liefern sie keine relevanten Zusatzinformationen gegenüber einer hochwertigen Standarddiagnostik mit klassischen Röntgen- und MRT-Aufnahmen. Spannend sind aber neue Verfahren wie die 4D-Wirbelsäulenvermessung und Ganganalysen. Damit können wir Haltung und Beweglichkeit dynamisch und in Echtzeit darstellen. Gerade für Sportler ist das ideal, um Fehlbelastungen aufzudecken und Trainingspläne individuell anzupassen.
Mikrochirurgische und endoskopische Techniken erlauben einen minimalen Zugang mit schneller Rekonvaleszenz.
Prof. Dr. med. Basem Ishak
Minimalinvasive Chirurgie als Standard
Welche minimalinvasiven Techniken haben sich in der Wirbelsäulenchirurgie inzwischen etabliert – und wo sind ihre Grenzen? Ist die mikrochirurgische Bandscheibenoperation heute noch Goldstandard?
Ja, sie ist der Goldstandard. Mikrochirurgische und endoskopische Techniken erlauben einen minimalen Zugang mit schneller Rekonvaleszenz. Wichtig ist, immer so wenig wie möglich zu operieren, um den natürlichen Verschleißprozess nicht zu beschleunigen. Wir reden heutzutage beim Mikroskop von 2 cm und beim Endoskop von 1 cm. Die Verweildauer bei uns ist durchschnittlich nur noch bei zwei Tagen.
Wie ist der aktuelle Stand bei Robotik-Assistenzsystemen in der Wirbelsäulenchirurgie? Welche gibt es am Markt und wo ist der klinische Nutzen für den Patienten?
Die Robotik begleitet mich schon seit vielen Jahren. Während meines Aufenthaltes in den USA habe ich eng mit der Johns Hopkins zusammengearbeitet und war dort einer der ersten deutschen Neurochirurgen, die robotische Systeme an der Wirbelsäule testen durften. Schon damals war das sehr faszinierend, aber auch ernüchternd: Die Technologie war extrem teuer, die Geräte groß und die Wartungskosten immens.
Zurück in Deutschland haben wir die Daten unserer Eingriffe ausgewertet und festgestellt: In puncto Präzision war die Robotik nicht besser als eine gute 3D-Navigation – und diese war schon etabliert und deutlich wirtschaftlicher. 3D-Navigation kann man sich wie ein GPS-System für die Wirbelsäule vorstellen: Wir erstellen einen hochauflösenden Bildsatz (meist aus einem niedrig dosierten CT) der Wirbelsäule. Dieser wird in eine Software geladen und darauf können wir virtuell unsere Implantate planen. Im OP arbeitet eine Kamera, die die Anatomie des Patienten kontinuierlich mit dem digitalen Modell abgleicht. Die Instrumente werden dann in Echtzeit im Raum angezeigt – mit einer Präzision im Zehntelmillimeterbereich. Das gibt uns maximale Sicherheit und reduziert das Risiko, Nerven oder andere Strukturen zu verletzen.
Was wir in Wiesbaden bereits tun, geht einen Schritt weiter: Wir nutzen patientenspezifische Schablonen. Der Patient erhält vor der Operation ein Low-Dose-CT, aus dem ein digitales 3D-Modell seiner Wirbelsäule generiert wird. Auf dieser Grundlage planen wir die exakte Position jeder einzelnen Schraube. Die Daten gehen an eine Spezialfirma in der Schweiz, die eine passgenaue Operationsschablone herstellt. Diese Schablone wird während der OP direkt auf die Wirbelsäule gesetzt und rastet so ein, dass sie sich nicht mehr bewegen kann. Durch die vorgesehenen Bohrkanäle können wir hochpräzise arbeiten. Das ist Hightech-Medizin im besten Sinne: Wir sparen Zeit im OP, minimieren Risiken und können schon vor der Operation alles vorbereiten. Gerade bei komplexen Fällen – etwa bei älteren Patienten mit deformierter Wirbelsäule – ist das ein enormer Sicherheitsgewinn.
Die Robotik bietet bislang keine besseren Ergebnisse, ist aber technisch spannend. Ich bin überzeugt, dass sie sich durchsetzen wird, sobald die Systeme kleiner, erschwinglicher und praktikabler werden. Wir werden in Zukunft vermutlich eine Kombination aus Navigation, Robotik und Augmented Reality sehen.
Konservative Therapien im Fokus
Welche konservativen Therapien – etwa gezieltes Faszien- oder Muskeltraining, oder multimodale Schmerzprogramme – gelten aktuell als besonders wirksam?
Kraft- und Koordinationstraining wie CORE-Programme (die gesamte Rumpfmuskulatur) sind sehr effektiv, um Schmerzen zu reduzieren. Faszien- und Manualtherapie lösen Verklebungen und verbessern die Beweglichkeit. Multimodale Schmerzprogramme helfen, Ängste zu reduzieren und einen aktiven Umgang mit chronischen Beschwerden zu finden.
Welche Entwicklungen sehen Sie bei »Cortison-Spritzen«? Werden die in der Ärzteschaft nicht derzeit sehr kontrovers diskutiert?
Diese werden derzeit in der Tat kontrovers diskutiert. Gezielte Infiltrationen können Schmerzen deutlich lindern, aber dazu muss der Nerv auch gereizt sein. Zudem ist der Effekt zeitlich begrenzt. Bei manchen Patienten nur einige Tage, bei anderen mehrere Monate. Es kann auch diagnostisch hilfreich sein, denn wenn eine Injektion hilft, könnte man den Befund womöglich operativ angehen.
Prävention: Drei Tipps für Golfer
Wie realistisch ist die Vision von regenerativen Therapien für die Wirbelsäule? Gibt es Studien, die zeigen, dass Degeneration tatsächlich umkehrbar wird?
Es gibt viele Ansätze dazu, aber durchgesetzt hat sich bisher nichts. Die Eigenbluttherapie bei Gelenkbeschwerden bietet gewisse Erfolge. Für Zelltherapien sind die Daten zu uneinheitlich. Wissenschaftliche Belege fehlen einfach! Die Ansätze sind vielversprechend, funktionieren aber beim Menschen bisher nicht belegbar.
Viele unserer Leser möchten vor allem vorbeugen. Welche drei Dinge empfehlen Sie jedem Golfer?
Erstens: Kraft und Beweglichkeit des Rumpfes trainieren – nicht nur Bauch und Rücken, sondern auch die seitlichen Muskelketten. Zweitens: Regelmäßig Pausen von sitzenden Tätigkeiten einlegen, denn langes Sitzen ist Gift für den Rücken. Drittens: Stress aktiv abbauen, weil er Schmerzen verstärken kann. Das kann Yoga sein, ein Spaziergang oder gezielte Atemübungen.
Prof. Dr. med. Basem Ishak ist Facharzt für Neurochirurgie mit Schwerpunkt Wirbelsäulenerkrankungen und promovierte 2010 magna cum laude an der Universität des Saarlandes. Nach Stationen in einer Münchner Klinik für Orthopädie (FIFA Medical Centre) und der Neurochirurgie des Universitätsklinikums Heidelberg, wo er 2017 Facharzt wurde und später die Sektion Wirbelsäulenchirurgie leitete, habilitierte er sich 2020 zum Thema Navigation in der Wirbelsäulenchirurgie. Eine Fellowship in den USA vertiefte seine Expertise, bevor er Chefarzt für Neuro- und Wirbelsäulenchirurgie an der renommierten ATOS-Privatklinik in Wiesbaden wurde. Er verfügt über Erfahrung aus mehreren Tausend Eingriffen und behandelt ein breites Spektrum von Alltagsbeschwerden bis zu komplexen Fällen im Profisport.
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